Lass es bloss nicht Liebe sein
zuhöre.«
Esther steckte den Kopf aus dem Lagerraum. » Lily, die Kanne lässt sich nicht mehr zuschrauben, und hier ist auch kein Kaffeepulver.«
» Komm mit nach oben, Esther. Oh, und das ist William Isyanov, ein Freund… von uns.«
Esther strahlte und hielt ihm ihre Hand hin. » Ein Freund von Robbie? Nett, Sie kennen zu lernen.«
Missmutig führte Lily die beiden nach oben. William und Esther setzten sich an den Tisch, während sie in die Küche flüchtete und die Espressomaschine in Betrieb setzte.
» Eigentlich wollte ich eine Dose mit meinen selbst gebackenen Plätzchen mitbringen– die liebt Robbie nämlich–, aber Maurie hatte schon alle verputzt. Ich bin leider nicht mehr zum Backen gekommen und…«
» Ist schon okay, Esther, ich hab keinen Appetit auf Plätzchen. Und William sicher auch nicht«, meinte sie nach einem schiefen Seitenblick zu ihm.
» Du bist doch nicht etwa krank, shepsele ? Kümmert Robbie sich auch anständig um dich? Ich finde, du hast abgenommen. Du bist viel zu dünn.«
» Du findest immer, dass alle zu dünn sind.« Lily stellte zwei Tassen Kaffee auf den Tisch.
Esther wühlte in ihrer Handtasche herum und zog ihre Süßstoffdose und einen Umschlag heraus. » Das ist die Einladung, von der ich dir erzählt hab. Zu Miriams Hochzeit. Ich fände es natürlich wunderschön, wenn sie dich bitten würde, eine ihrer Brautjungfern zu sein. In einem traumhaften Kleid und mit tollem Make-up und so. Dann wäre Robbie bestimmt hin und weg und käme vielleicht auch mal auf die Idee, dir endlich einen Antrag zu machen.«
Lily biss die Zähne zusammen, während Esther fröhlich weiterschwatzte. Nachdem das Thema Hochzeit leidlich erschöpft war, wandte sie sich abermals an William. » Waren Sie früher mit Robbie zusammen in der Schule?«
» Nein, Esther.«
» Sie klingen irgendwie so britisch. Sind Sie Engländer?«
» Ja.«
» Dann hat Robbie Sie bestimmt bei einem seiner Bucheinkäufe in London kennen gelernt. Er war schon zweimal dort, immer mit Lily. Sie braucht ab und zu mal eine Auszeit vom Geschäft, sagt ihr Spezialist. Und Robbie hört natürlich auf ihren Arzt. Wo ist Robbie überhaupt?«
William schoss Lily einen scharfen Blick zu, als Esther den Spezialisten erwähnte. Lily schlug die Augen nieder.
» Er ist momentan nicht hier, ich sag ihm aber, dass er dich unbedingt mal anrufen soll.«
Esther lehnte sich auf dem Stuhl zurück und musterte Lily mit schief gelegtem Kopf. » Er macht doch nicht wieder Dummheiten, oder?«
Lily wich Williams und Esthers Blick aus und zuckte mit den Schultern.
» Wenn er wieder mal nur zu seinem Vergnügen unterwegs ist, brauchst du es bloß Maurie zu sagen– ich knöpf ihn mir ebenfalls vor. Dich einfach hierzulassen, er weiß schließlich, wie angegriffen du bist.«
Sie stellte klirrend die Kaffeetasse auf den Unterteller, beugte sich vor und fasste sanft Lilys Hand. » Ich muss wieder los. Hab noch einiges zu besorgen, Maurie braucht dringend sein Spezialtonikum für die Füße. War nett, Sie kennen zu lernen, William.«
Esther stand auf, Lily begleitete sie zur Tür. Auf dem Weg nach unten erfuhr sie alles über die Fußcreme und dass die meisten Apotheken sie nicht vorrätig hätten. Esther umarmte sie und sagte: » Komm ruhig ein paar Tage zu uns, shepsele, wenn du dich einsam fühlst.«
Lily winkte ihr zum Abschied, den Tränen nahe. Esther erzählte gern und viel, und sie hatte ein großes Herz. Ein Windstoß blies durch die Straße, wirbelte Blätter und Abfall auf, und Lily zuckte fröstelnd zusammen. Am liebsten hätte sie sich bei Esther ausgeweint und sich in ihrem großen alten Haus am Bellevue Hill einquartiert. Esther würde ihr einen Milchkaffee und Honigkuchen hinstellen, sie in den Arm nehmen und trösten, dann würden sie sich wie üblich ein Video von Stolz und Vorurteil anschauen und sich köstlich über Mrs. Bennett und Mr. Collins amüsieren.
Sie drückte leise seufzend die Tür zu, trottete wieder nach oben zu William, wo sie unbehaglich auf ihrem Stuhl herumrutschte und beharrlich seinem Blick auswich.
» So«, sagte sie schließlich, » und was hast du jetzt erfahren?«
» Dass Esther dich wahnsinnig gern hat. Was bedeutet eigentlich shepsele?«
» Das ist Jiddisch für Lämmchen. Lily das Lamm. Die, die sich für jeden Scheiß opfert.« Sie spielte mit ihrem Kaffeelöffel, schob damit abwesend einen Krümel über die Tischplatte. Dann stand sie auf, lief in die Küche und nahm eine Flasche
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