Lass es bloss nicht Liebe sein
gesagt bin ich damals durch die Hölle gegangen.«
» Wie lange ging das so?«
» Zwei Jahre. Esther und Maurie finanzierten mir den Aufenthalt in einer Privatklinik, wo ich einen Entzug machte. Trotzdem dauert es Jahre, bis man von der Sucht geheilt ist. Manchmal, wenn ich unter Stress stehe, fühle ich, dass die Dämonen wieder anklopfen. Wir machten uns selbstständig, das Geschäft eröffnete uns neue Perspektiven. Vor drei Jahren haben wir das Haus gebaut, es lief alles super. Seit meiner Entlassung aus der Rehaklinik hab ich Morphium nie wieder angerührt.«
William betrachtete weiterhin seine Hände und blieb stumm.
» Ich hab ihm eine Menge abverlangt, und er hat mich nie hängen lassen. Ich weiß, dass er mich liebt.«
Keine Reaktion.
Lily schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte und platzte heraus: » Daran kann niemand rütteln– weder du noch das Buch.«
Er blickte auf, seine Miene unbewegt, kalt. » Wieso bleibst du bei ihm, obwohl er dich dieses Mal bitter enttäuscht hat?«
» Ich habe meine eigenen moralischen Standards, William. Seine sind eben andere als meine.«
» Du machst dich von ihm abhängig und lügst dir einen in die Tasche. Ein klarer Fall von Selbstbetrug.«
» Soll ich dir mal was sagen? Ich hasse dich!«, schleuderte sie ihm entgegen. » Wenn man liebt, muss man für den anderen Verständnis haben und auch mal verzeihen können. Das ist nun mal so. Dieses Gefühl kennst du bestimmt auch. Oder vielleicht auch nicht.«
Eine längere Pause entstand. Ein Paar schlenderte Arm in Arm an der Buchhandlung vorbei, beide strahlend vor Glück. Otto schnarchte in seinem Korb.
» Im Übrigen ist das Thema für mich erledigt.« Sie stand auf und sammelte die leeren Gläser vom Schreibtisch ein.
Er sah sie eindringlich an. » Liebst du ihn noch?«
Sie stellte die Gläser ab. » Ob ich ihn liebe? Ich denke, die Frage lautet eher, ist die Beziehung intakt und harmonisch? Sehe ich eine Zukunft mit ihm? Oder sollte ich lieber froh sein, wenn es aus ist zwischen ihm und mir? Ich weiß echt nicht, was ich darauf antworten soll.« Sie rieb sich mit den Händen durch das Gesicht.
» Aber du liebst ihn?«, wiederholte er seine Frage.
» Das weiß ich inzwischen auch nicht mehr so genau.«
» Weshalb?«
» Wegen dir«, flüsterte sie.
Er biss die Kiefer aufeinander und schwieg. Sie seufzte beklommen, als er keine Reaktion zeigte.
» Wenn das alles ist, was du mich fragen wolltest, warum gehst du dann nicht? Ich werde nie rechtzeitig fertig, wenn ich hier herumsitze und dir meine Lebensbeichte ablege.«
Er hatte sie gebeten, mit ihm zu kommen, damit sie in Sicherheit war. Wenn sie in Sydney blieb, wäre sie allein und den Gangstern ausgeliefert, die es auf Robbie abgesehen hatten. Außerdem wollte er sie in seiner Nähe wissen, das musste er ehrlicherweise einräumen.
Ein Strom von Menschen schlenderte über die Oxford Street, auf dem Weg in die Kinos, Restaurants oder Nachtclubs. Er konnte nicht fahren– er konnte nicht an sie denken und gleichzeitig fahren. Er hielt in einer Ladezone, stellte die Zündung aus und starrte auf die Straße. Sein Handy piepste. Eine SMS bekommen– drei, wie es aussah.
Er war nicht schockiert über das, was sie ihm gebeichtet hatte; eine Sucht konnte jeden treffen. Sie hatte sich jedoch mit eigener Kraft aus dem Drogensumpf gezogen und mithin ein hohes Maß an Selbstdisziplin bewiesen. Nur dass es nicht ihr alleiniges Verdienst war: Robbie hatte sie ausdauernd dabei unterstützt. William konnte sich bildhaft ausmalen, was das bedeutete.
Lily hatte sich spontan entschieden, ihn, William, zu begleiten. Das hieß aber nicht, dass er bei ihr landen konnte. Erst einmal galt es, die Finger von der Frau zu lassen. Wenn alles vorbei wäre, das Buch in Sicherheit, Robbie unversehrt, der Job erledigt, dann würde er ganz behutsam versuchen, sich wieder ins Spiel zu bringen. Bis dahin leuchtete ihr sicher ein, dass Robbie sie nach Strich und Faden belogen und betrogen hatte. Er konnte nur abwarten, sich raushalten und beobachten, wie Robbie sich tiefer und tiefer in die Scheiße ritt.
Am nächsten Morgen düste Lily in die Stadt und kaufte den halben Drogeriemarkt leer. Sie telefonierte mit Suzy und einem vergrätzten Sebastian, dabei riss sie wahllos Klamotten aus dem Schrank und warf sie auf das Bett; Guy und Tony versprachen ihr, sich um Otto zu kümmern. Sie stellte viermal frisches Wasser auf den Herd und vergaß nachher, den Tee aufzubrühen. Die ganze
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