Lass es bloss nicht Liebe sein
leicht benommen und wacklig auf den Beinen, fühlte sie die schwere Waffe in Williams Sakko. Am Vorabend hatte sie zum ersten Mal einen richtigen Revolver gesehen. Wenn man keine Ahnung hatte, wie man damit umging, konnte so ein Ding verdammt schnell losgehen, dachte sie, und unangenehme Konsequenzen haben. Das Tohuwabohu in der Scheune dauerte an, und Lily wurde zunehmend wütend. Sie schob ihre Hand in die Sakkotasche, befühlte das kühle Metall. Sie hatte keinen Schimmer, ob der Revolver geladen war, und sie war auch nicht wirklich versessen darauf, die Probe aufs Exempel zu machen. Sie wollte niemanden umnieten, ihr war lediglich daran gelegen, die Schurken schleunigst in die Wüste zu schicken. Robbie war an allem schuld. Robbie würde das geklaute Buch kalt lächelnd verkaufen, und William könnte dabei draufgehen– es wäre Robbie völlig egal. Und das machte sie noch wütender.
» Signora«, rief Mafioso Kettenqualmer.
» Si … pipi«, rief sie zurück.
Sie beschloss zu handeln. Robbie liebte Actionfilme, brutale Krimis und Thriller, die sie für gewöhnlich vor dem Fernseher verschlafen hatte. Einen Film fand sie jedoch total klasse: Thelma und Louise. Sie hatte gespannt im Bett gesessen, sich halb schlapp gelacht und Rotz und Wasser geheult, während Robbie sich neben ihr auf dem Laken fläzte und ihr Blicke zuwarf, als wäre sie komplett schwachsinnig. Thelma und Louise hatten einen Polizisten im Kofferraum seines Wagens eingesperrt. So was in der Art schwebte ihr jetzt auch vor.
Sie nahm die Waffe aus der Jackentasche und stand auf, verbarg sie unter dem Sakko und schlenderte lässig locker zurück zu dem Mercedes. Mafioso Kettenqualmer riss die hintere Autotür auf und bedeutete ihr einzusteigen. Von wegen, sie zielte mit dem Revolver auf ihn und sagte: » No, signor.«
Seine Augen vor Verblüffung geweitet, hielt er die Hände hoch. Dabei lachte er milde spöttisch. Voll daneben, du Hirni, sann Lily. Ein Mann lacht keine Frau aus, die eine Waffe auf ihn richtet. Schau dir gefälligst nochmal Thelma und Louise an.
» Bastardo«, knirschte sie und beugte sich, die Waffe weiterhin auf ihn gerichtet, über den Fahrersitz, um nach den Wagenschlüsseln zu angeln, die in der Zündung steckten.
Er lachte abermals. » Signora, per favore.«
» Halt die Klappe, Freundchen«, fauchte sie und deutete auf den Kofferraum. Dankenswerterweise handelte es sich bei dem Daimler nicht um einen Kombi mit Heckklappe, sonst wäre sie vermutlich aufgeschmissen gewesen. Sie schloss den Kofferraum auf und sagte: » Rein da, aber ein bisschen plötzlich.«
Er schüttelte den Kopf, ein verschlagenes Grinsen hüpfte über seine Lippen.
» Rein da, per favore «, wiederholte sie.
Er grinste, als würde er es in vollen Zügen genießen, dass eine ziemlich aufgelöste Signora mit einer Waffe vor seiner Nase herumfuchtelte und ihn höflich bat, sich klein zusammenzufalten und auf Tauchstation zu gehen. Er feixte sie schmierig an, sein Blick klebte an ihren Brüsten. Sie konnte sich bildhaft vorstellen, wie sie in seinen Augen rüberkam: Ungepflegte, wild verstrubbelte Blondine in bekotztem Rüschenfummel fuchtelt mit einem Revolver in der Gegend rum.
» Widerlicher Kotzbrocken«, pflaumte sie ihn an. Sie drängte näher und fauchte: » Hast du was mit den Ohren, du Sackgesicht? Oder drück ich mich missverständlich aus?« Prompt hielt sie den Revolver auf seinen Schritt. » Rein da, pronto .«
» Puttana«, zischte er, während er widerstrebend in den Kofferraum kletterte. Sie drückte den Deckel zu und setzte sich darauf, um sicherzugehen, dass er fest verschlossen war. Dann schlich sie zu dem angelehnten Tor und linste in die Scheune. William lehnte an der rückwärtigen Wand, sein Gesicht blutüberströmt, Gunman bückte sich gerade nach seiner Pistole, die auf einem umgedrehten Holzkübel lag, um damit zu einem weiteren Schlag auszuholen.
Lily glitt auf Zehenspitzen hinter ihn, ihre Waffe auf seinen Rücken gerichtet, als er William anbrüllte. William blickte zu Boden, er blutete stark. Sie angelte sich Gunmans Pistole von dem Kübel. Und fühlte sich wie ein Westernheld, wie Jesse James oder wie der Typ, der nachmittags im Kinderprogramm Rodeos ritt– sein Name war ihr entfallen. Auch egal, jetzt hatte sie zwei Waffen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Lage verdammt ernst war, dass sie rasendes Herzjagen hatte und eine staubtrockene Kehle, fühlte sie sich grandios.
Sollte sie jetzt à la Wildwest tönen: Du
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