Lass es bloss nicht Liebe sein
dem Lily ihn so fürsorglich gefüttert hatte.
Als er zu sich kam, lag er wieder in seinem alten Zimmer, den Tropf erneut in seinem Handrücken. Eine Schwester funkelte ihn bitterböse an und schimpfte, dass er ihnen bloß Arbeit machte. Er hätte mitten zwischen den Rollstühlen gelegen. Als er nach seinem Handy und der Karte des Hotels fragte, warf sie beides auf das Bett und stapfte mit einem missmutigen Zungenschnalzen aus dem Zimmer.
Das Handy musste ans Netz, aber die Schwester reagierte nicht auf sein Klingeln. So viel zu dem Thema Flucht aus Liebe. Wenn er es noch einmal versuchte, hatte die Schwester gedroht, würden sie ihn einfach dort liegen lassen, wo er ohnmächtig geworden war.
William wartete am Krankenhauseingang auf Lily, sein frischer Verband strahlend weiß im morgendlichen Sonnenlicht. Sie parkte den Fiat und lief zu ihm, umschlang ihn zärtlich. Er küsste sie hart und schloss sie in eine stürmische Umarmung.
» Alles okay? Bist du bereit für die Begegnung mit Robbie?«
Sie nickte matt. Die Hitze war schon morgens unerträglich. Kein Lüftchen ging, die Wärme staute sich in den engen Straßen und Gassen, den kleinen fensterlosen Räumen und dem alten Mauerwerk der dicht aneinandergeschmiegten Häuser.
William schnappte nach den Autoschlüsseln, die Lily in der Hand hielt. Sie trat intuitiv einen Schritt zurück und staunte ihn an.
» Das soll wohl ein Witz sein, was? Grundgütiger, in deinem Zustand kannst du unmöglich fahren.«
» Von wegen, ich bin topfit.«
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu und rutschte hastig auf den Fahrersitz, ehe er ihr zuvorkam. Er kletterte in den Wagen, grinste sie an, und sie neigte sich über die Handbremse hinweg zu ihm. Ihre Lippen fanden sich zu einem zärtlichen Kuss. Er nannte ihr die Adresse von Robbies Unterschlupf, und sie gab die Daten in das Navi ein.
Eine Stimme wies sie auf Englisch höflich, aber bestimmt an, den steilen Pass in die Berge von Matraia zu nehmen. Sie passierten die Villa Reale und andere Palazzi mit bombastischen Parks. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Lily darauf bestanden, sich alles ausgiebig anzuschauen. Die Straße wand sich in engen Kurven und Serpentinen, stieg steil an, sie ließen Paläste und Parks hinter sich, fuhren vorbei an Feldern mit Kastanienbäumen, Feigen und Zitronen, Klatschmohn und Kornblumen, die rot und blau das hohe Gras tüpfelten. Sumpflilien schimmerten zartweiß im flirrenden Sonnenlicht. Die ständigen Haarnadelkurven waren eine wahre Herausforderung an Lilys Schaltkünste– von oben sahen sie auf die Ebene, die Stadtmauern und weiter östlich auf eine graue Dunstglocke, unter der Florenz brütete. William hielt die Augen geschlossen.
» Warum warst du eigentlich so wild darauf, das hier zu machen?«, wollte sie wissen.
» Ich hab dir bereits erklärt«, sagte er mit geschlossenen Lidern, » dass ich Robbie lebend haben will. Mir persönlich ist es scheißegal, was mit ihm wird, ich will bloß wissen, was du dabei empfindest. Wenn ihm irgendwas zugestieße und du mir die Schuld daran gäbest, hätte ich wahrscheinlich nie eine Chance bei dir.«
Lilys Kehle verengte sich, sie hielt den Blick demonstrativ auf die Straße gerichtet.
» Aber dir geht es auch um das Buch, oder sehe ich das falsch?«
» Nicht mir, sondern meinen Auftraggebern. Dafür werde ich schließlich bezahlt.«
Er riss sich wütend den Verband runter und warf ihn auf den Wagenboden. Lily legte knirschend den Gang ein und würgte prompt den Motor ab. Er sagte keinen Mucks. Das liebte sie an ihm. Sie startete erneut und fuhr ruckelnd an.
» Du hast gesagt, diese Typen hätten kein Blutbad anrichten wollen, aber schau dir mal dein Gesicht an– wenn ich den Idioten nicht gestoppt hätte, hätte er dich bestimmt abgemurkst.«
William öffnete sein gutes Auge und blinzelte zu ihr. » Ach was, glaub mir, das war kein Blutbad, das war harmlos. Auf Mord steht lebenslänglich– so wichtig bin ich denen auch wieder nicht, dass sie einen langen Knastaufenthalt in Kauf nehmen würden. Die wollten bloß wissen, wo Robbie steckt.«
In der Nähe des Gipfels wurde der Pass wieder breiter. Sie passierten eine Friedhofsmauer, eine alte Frau stützte sich schwer auf das rostige Eisengeländer. Der Zustand der Straße, die von Eschen und Eichen gesäumt war, verschlechterte sich zusehends. William bat sie anzuhalten.
» Wir gehen das letzte Stück zu Fuß weiter«, meinte er.
» Puh, es ist entsetzlich heiß.«
» Es ist nicht
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