Lass es bloss nicht Liebe sein
Lippen. » Und es musste unbedingt dieses Gedicht sein. Es erinnert mich daran, wie ich dich zum ersten Mal sah, als du über die Straße gelaufen kamst und mich angelächelt hast. Ein Lächeln wie strahlender Sonnenschein, nur für mich und für sonst niemanden.«
» Bist du sicher, dass es nicht bloß meine blonde Mähne und mein Busen waren?«
» Klar hab ich auch das registriert, immerhin bin ich ein Mann. Männer sind für so was empfänglich. Aber da war so viel mehr. In der weißen Bluse, die du anhattest, sahst du aus wie Grace Kelly. Du hast mit einem Riesenschnauzer herumgetollt, dann mir zugelächelt, und ich wurde mit einbezogen, in diesem Moment gab es nur uns drei. Ich dachte spontan: Für diese Frau könnte ich sterben.«
Lily seufzte und küsste ihn sanft auf die Schläfe.
» Als ich an jenem Abend in Rom in das Apartment zurückkam, dachte ich, das Umgekehrte wäre passiert, dass du tot wärest, und alles bloß wegen meiner gedankenlosen Aktion. Ich war wütend auf mich selbst.«
» Es ist vorbei.« Sie schloss abermals die Augen.
» Was ist vorbei?«
» Es ist schon verrückt«, giggelte sie. » Wenn ich vorher gewusst hätte, was für Warmduscher diese Typen sind, hätten die meinen Laden nicht geschrottet, das garantier ich dir.«
William prustete los und stöhnte dann gequält auf. » Mein Kopf tut mörderisch weh, bring mich bloß nicht nochmal zum Lachen.«
Draußen dämmerte es bereits. Lily zog den Reißverschluss ihres Kleides hoch, glättete die Laken und holte William ein Glas Wasser.
» Sei vorsichtig, wenn du nachher die Klinik verlässt. Geh auf dem kürzesten Weg zurück zum Hotel, und bleib auf deinem Zimmer.«
» Haben diese Typen es nicht auch auf dich abgesehen? Ich meine, wäre es nicht sinnvoll, wenn man einen Polizisten als Wache vor deinem Zimmer postieren würde?«
Er grinste und schnitt prompt eine schmerzverzerrte Grimasse. » Nein, so ist das halt in meinem Business, Lily. Es ist nichts Persönliches. Die Typen wurden lediglich geschickt, um zu erfahren, wo das Buch ist. Wenn sie uns hätten töten wollen, wären sie ganz anders vorgegangen.«
» Wie anders?«
» Wesentlich unangenehmer.«
» Dann waren die Typen verdeckte Ermittler, so wie du?«
» So was in der Art, ja. Ich würde jedoch niemals so vorgehen wie die beiden. Aber vermutlich sind sie auch keine desillusionierten Universitätsdozenten, die ihren jahrelang aufgestauten Frust abarbeiten.«
Sie küssten sich zum Abschied. Auf dem Weg zur Tür rief er leise » Lily!«. Sie schwenkte zu ihm herum, betrachtete ihn, sein Skizzenblock neben ihm, das Tablett noch auf dem Tischchen, sein Gesicht halb verschattet im gedämpft blauen Licht der Krankenzimmerbeleuchtung. Sie lächelte und verschwand in dem langen Korridor.
Nach ihrer Rückkehr wuselte Lily hektisch in ihrem Hotelzimmer herum, ihr Verstand raste. Die letzte Woche hatte ihr zwar physisch und psychisch zugesetzt, trotzdem hielt der Gedanke an William und Robbie sie wach. Sie öffnete die Läden und lehnte sich über den Fenstersims, schaute nach unten auf die Piazza, über die mittelalterlichen Stadtmauern und die Kronen der Bäume.
Die stickig warme Luft roch nach Abgasen und Schmutz, ihre Kehle war staubtrocken. Der Ostermond hing tief am Himmel, das Geknatter der Vespas hallte durch die schmalen gepflasterten Straßen.
Mit jedem Tag verdrängte William Robbie weiter aus ihrem Herzen– demselben Herzen, das Robbie leichtfertig gebrochen hatte. Das war also das Ende. Es war ihr so klar wie die Tatsache, dass die Sonne morgen früh wieder aufging– und sie Robbie begegnen würde. Sie löste sich vom Fenster und holte sich ein Glas Wasser, das sie bedächtig austrank.
Sie hatte ihn in der Buchhandlung in Bondi Junction kennen gelernt, wo sie damals arbeitete. Er war ihr jeden Tag mit einem anderen Buchwunsch gekommen, Bücher, die sie nicht auf Lager hatten, weil sie sich in ihrem Sortiment schlecht verkauften. Sie machte die Scharade mit, schaute die Titel im Computer nach, während er heftig mit ihr flirtete und allmählich ihren Widerstand schwächte. Er kam jeden Tag, zu keiner bestimmten Zeit, dennoch wusste sie, dass er kommen würde. Sie begann, sich auf seine Besuche zu freuen, und erklärte sich schließlich bereit, mit ihm essen zu gehen.
Das erste Jahr ihrer Beziehung, bevor ihre Mutter krank wurde, war traumhaft gewesen. Total verliebt hatten sie jede freie Minute im Bett verbracht oder Händchen gehalten oder auf
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