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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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geworden in dem Staat Walter Ulbrichts, »dem einzigen rechtmäßigen deutschen Staat, der die besten Traditionen der Geschichte verkörperte und weiterführte«. Ich komme aus dem Land des Braunkohlengeruchs, des Ersatzautos Trabant und der Frauen mit Dederonschürzen, die ihren Mann auch auf dem Kran und dem Mähdrescher gestanden haben, einem Land mit Kinderkrippen und Ganztagsschulen, Kindes- und Jugendweihen, aus Stasiland, einem Leseland mit billigen Mieten und besonderer Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder, der Kinder »mit Bewusstsein« natürlich – was heißt: durch und durch SED-rot –, aus dem Land der LPGs, VEBs, BHGs, VVBs, mit Sero und HO, mit NSW- und SW-Kadern, aus dem Mauerstaat, eingebunden in den RGW unter Anwesenheit der GSSD. Hier sangen die Puhdys »Alt wie ein Baum«, Karat ließ »Über sieben Brücken gehen«, und Silly begeisterte mit »Bataillon d’Amour«, Gerhard Schöne mit »Jule wäscht sich nie«.
    Aus dem Land der FDJ-Pfingsttreffen mit weißer Taube auf blauem Grund und der Petersbergtreffen der Jungen Gemeinde mit Kugelkreuz oder den Aufnähern »Schwerter zu Pflugscharen«. Aus dem Land, wo emsig Soli- und Konsummarken geklebt wurden, wo vorauseilender Gehorsam und »feines Schweigen« |95| sich mit einem Blick ins Strafgesetzbuch täglich rechtfertigen konnte. Wo »Privat geht vor Katastrophe« galt, richteten sich fast alle in einer doppelten Wirklichkeit ein. Im Kabarett lachten sie flugs alles ab, um am nächsten Tag wieder brav zu funktionieren. Wohngemeinschaften waren keine WGs, sondern sozialistische Wohngemeinschaften von Jungfamilien mit Dreiraumwohnungen im Neubaublock 173 Aufgang 27 – im WK III in Halle-Neustadt.
    Meine Kinder leben ganz in der neuen Welt ohne Mauer – und sie entdecken, wie sehr auch sie noch in der DDR geprägt wurden. Heute noch gibt es ein
Wir
aus der DDR-Zeit, das weniger eine politische oder menschliche Gemeinsamkeit ausdrückt als ein gemeinsam erlebtes, erhofftes, erlittenes, erfülltes oder verlorenes Leben in der DDR. Die 40 getrennten Jahre haben West- und Ostdeutsche viel weiter voneinander entfernt, als wir es uns zugeben mochten. Nachdem die Mauer weg ist, die uns trennte, sehen wir erst, was uns ohne Mauer voneinander trennt. Reiner Kunze schrieb ein Gedicht zum 3. Oktober 1990. Darin heißt es:
     
    die mauer
     
    als wir sie schleiften,
    ahnten wir nicht
    wie hoch sie ist
    in uns
     
    Wir hatten uns gewöhnt
    an ihren horizont
     
    Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gab es eben nicht nur den politischen Gegensatz und ein gravierendes ökonomisches Gefälle, sondern auch ein
Selbstwertgefälle
, kompensiert durch eine vielfach hypertrophe DDR-Staats-Ideologie.
    Ihr im goldenen Westen wart Deutschland: größer, anerkannter, erfolgreicher – nur im Sport nicht.
    |96| Ihr bekamt das Grundgesetz und die Marshallplan-Leistungen, wir die Partei »neuen Typus« und die Reparationsforderungen.
    Euch stand die Welt offen. Wir im grauen Osten wurden eingemauert. Um uns ragte ein »antifaschistischer Schutzwall«.
    Ihr hattet eine konvertierbare Währung und wir Ostgeld mit Marxkopf.
    Ihr konntet wählen. Wir konnten falten.
    Ihr hattet Volkswagen und wir den Trabbi, eine knatternde Plastekiste, die eine »Beziehungskiste« wurde.
    Ihr wart west-orientiert. Wir auch. Aber für euch lag im Westen eben Westeuropa und für uns Westdeutschland.
    Wir waren lange Zeit ein schöner Anlass für den Feiertag im wunderschönen Juni und für entsprechende Festtagsreden. Aber wir dienten auch als Anschauungsgegenstand für das Abschreckende: So ist der Osten. Hinter der Mauer ist das rote KZ.
    Unsere Republik: eine Quasi-Sowjetrepublik mit deutscher Sprache. In Artikel 6 ihrer Verfassung war nicht nur festgehalten, dass Militarismus und Nazismus ausgerottet worden seien, sondern auch, dass »die Deutsche Demokratische Republik für immer und unwiderruflich mit der Union der Sowjetrepubliken verbündet« bliebe. Aber als dort Perestroika und Glasnost proklamiert wurden, sollte die Losung »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen« nicht mehr gelten.
    Die unterschiedliche Sozialisation in Ost und West hat die Menschen viel nachhaltiger geprägt als zunächst erwartet. Viele haben unermüdlich versucht, die Selbstauseinandersetzung über die Zeit der Teilung und des Kalten Krieges voranzutreiben, dabei aber nur einen kleineren Teil der Bevölkerung erreicht. Es war eine Illusion anzunehmen, dass die alten Feindbilder

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