Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
Vom Netzwerk:
verblassen würden, als das Regime in der DDR implodiert bzw. hinweggefegt worden war, nachdem das Volk auf der Straße seine »Führung« delegitimiert hatte.
    Feindbilder dienten in der DDR zur Munitionierung eines Gemeinwesens, das sich von anderen abzusetzen und durch den Kampf gegen andere seine Stärke zu gewinnen suchte. So ließ |97| man die Kinder singen »In den Kampf ziehen wir nicht, um zu sterben. Nur der Tod der Feinde ist gerecht. Wer das Leben bedroht, der zieht in den Tod. Das Leben schickt uns ins Gefecht.«
    Aber auch im Westen wurde mehr als 40 Jahre eifrig Feindbildpflege betrieben, die bis heute eruptiv Reflexe im Osten hochkommen lässt, z. B., wenn es in den Medien seit dem Kosovokrieg immer wieder hieß, die größere Ablehnung der Kriege in Ostdeutschland sei eine Nachwirkung der DDR-Propaganda gegen die NATO. Ein sprechendes Beispiel war die peinliche Nichtwahl Lothar Biskys zum stellvertretenden Bundestagspräsidenten im Oktober 2005. Selbst die abgenutzte Stasikeule wurde wieder herausgeholt, weil er als Rektor der Filmhochschule zwangsläufig Kontakte zum »Staatsorgan« MfS gehabt hatte – nicht von sich aus –, denn »die Firma« hatte überall freien Zugang und nistete sich z. B. im Referat für Studienangelegenheiten nach Belieben ein. Entscheidend ist doch, was Bisky bei diesen Kontakten gesagt, wie er wen geschützt und verteidigt oder wen er belastet und »ans Messer geliefert« hat. Kein damaliger Student hat (nach Biskys öffentlicher Aufforderung im Jahr 1992) gesagt, dass er durch sein Wirken Schaden genommen hätte. Im Gegenteil: Andreas Dresen und andere heute erfolgreiche Regisseure sprechen in höchsten Tönen von ihm. Macht nichts! Eine junge CSU-Abgeordnete erklärte, sie »würde nie einen Kommunisten wählen«.
    Mit der Fixierung auf das SED-Regime und seine Repräsentanten sowie einer nachträglichen Dämonisierung der SED und ihres Arbeiter- und Bauernstaates können westdeutsche Eliten von eigenen Fehlern und Versäumnissen ablenken, die sie sich nach 1990 hätten eingestehen müssen, zudem werden manche Folgen der überstürzten Vereinigung, die nun gemeinsam zu bewältigen sind, als »Altlast« deklariert.
    Die Bundesrepublik war auf den Zusammenbruch der DDR politisch, ökonomisch und mental nur insoweit vorbereitet, dass sie die Ostdeutschen mit Gütern mühelos versorgen, ihnen das eigene System überstülpen und die Konkursmasse verwalten konnte. Die meisten Betriebe der DDR waren unterentwickelt, |98| aber nicht wenige Produktionsstätten, die ohne großen Aufwand hätten konkurrenzfähig werden können, wurden abgewickelt. Insbesondere die Art des Umgangs mit DDR-Vermögen durch die Treuhand samt großzügiger Subventionierung der Liquidierung von Betrieben, die man als Sanierung deklarieren konnte, ist fahrlässig zu nennen.
    Ostdeutsche haben in puncto Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit keinen Anlass, mit dem Finger auf Westdeutsche zu zeigen. Die 28 Jahre hinter der Mauer haben sich anhaltender auf unser Sonnengeflecht – auf unsere Denk-, Sprach- und Gefühlsraster – gelegt, als wir alle gedacht hatten. Ins Grundwasser unserer Seelen sind über all die Jahre enttäuschte Hoffnungen, ehrliche Mühen, aber auch vielgestaltige Demütigungen gesickert. Wenn wir einfach unter »Jammer-Ossi« subsumiert werden, ist das erniedrigend. Doch hegen wir nicht bisweilen krude Erinnerungen und neigen zur Verklärung? Wie viele Leute überschlugen sich in Abscheubekundungen gegenüber dem »SED-Unrechtssystem« nachträglich und rechtfertigten ihr variantenreiches Mitläufertum mit wohlfeiler Selbstentschuldigung! Nicht nur die 98-prozentige Unterwürfigkeit zu den alle fünf Jahre stattfindenden Volkswahlen konnte so verdrängt werden. Ganz eklektisch und absurd werden manche Vorzüge des damaligen Systems betrauert und die politischen, kommunikativen, ästhetischen, ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen dessen, was man betrauert, einfach ausgeblendet. Oder Vorteile in DDR-Zeiten werden nur mit Nachteilen des Lebens im heutigen System verglichen, statt Vor- und Nachteile des damaligen Systems mit den Vorteilen und Nachteilen des jetzigen aufzurechnen. Man erinnert sich gern an die billigen Mieten; den Zustand der Häuser hat man vergessen. Hatte man früher Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, so müsse es heute einen Rechtsanspruch auf einen Parkplatz geben. Auch in dieser Hinsicht war es in der DDR »besser«, denn jeder, der ein Auto hatte,

Weitere Kostenlose Bücher