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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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ich niemanden.« Ich habe dann mit ihm darüber reden können, dass es auch für ihn ganz schön sein muss, wenn er so »ganz normal« umherlaufen kann. Wir gingen nicht bösartig auseinander. Ich habe ihm das gegönnt. Denn immerhin hatte er, als in den ersten Oktobertagen 1989 immer mehr Leute demonstrierten, nicht das gemacht, was wir gerade von ihm befürchtet hatten. Er hatte als »zweiter Mann« hinter Honecker nicht dafür gesorgt, dass sich in der DDR das wiederholen würde, was am 4. Juni 1989 in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschehen war. Meine Feindschaft zu Krenz war einfach erloschen. Ich hatte diesen ewigen FDJ-Funktionär früher zugleich verachtet und gefürchtet. Er hatte noch mit 50 Jahren ein FDJ-Hemd angezogen, wollte immer weiter den FDJ-Menschen herauskehren, einen Repräsentanten der Freien Deutschen Jugend. Und nun geht er ganz normal mit seinem Enkel auf der Straße in Pankow spazieren. So kann es auch sein.
    Wenige Minuten danach habe ich öffentlich mit Hermann Kant geredet. Der Saal war übervoll. Es lag eine merkwürdige Spannung über der Szene. Ich merkte, dass sehr viele Freunde Kants gekommen waren. Ich wollte ihm gerecht werden und doch auch nichts verschweigen. Er war schließlich der Präsident des Schriftstellerverbandes gewesen und mitverantwortlich für viele Repressalien, auch für die berüchtigten Ausschlüsse von neun Autoren aus dem Verband im Zusammenhang mit der Verurteilung Stefan Heyms wegen »Devisenvergehen« 1979. Ich hielt ihm u. a. auch Passagen aus seiner damaligen Rede gegen Reiner Kunze vor (»… auf den Kunze gekommen«). Die Mehrheit der Besucher aber war ganz auf der Seite Kants und hatte den Eindruck, auch ich wolle dieses große Denkmal nur beschädigen. Dann kam noch einer »von der anderen Seite« und schob grinsend ein Mikrofon auf den Tisch: Henryk M. Broder. Der wollte alle in die Pfanne hauen. Was er später über den Gesprächsversuch an Gehässigem und Erlogenem zusammenbraute, hat in mir destruktive, negative Emotionen geweckt, so |102| dass ich mir sagte: Von dem wirst du keine Zeile mehr lesen. Der vergiftet dich. Der speist dich nur mit negativer Energie.
    Das Gespräch mit Hermann Kant verlief nicht glücklich, hatte er sich doch eloquent in Szene gesetzt und war frei von jedem Selbstzweifel geblieben. Nach diesem Gespräch war ich etwa 14 Tage lang nicht richtig bei mir. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich konnte nicht kreativ sein. Ich fühlte mich ausgelaugt. Die Seele war müde.
    Ähnlich ist es mir noch einmal ergangen, als man im November 2001 im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin an »Zehn Jahre Verabschiedung des Stasiunterlagengesetzes« erinnerte. Ich saß mit fünf Gesprächspartnern auf dem Podium. Unten saßen Bürgerrechtler, in der Mehrheit aber Angestellte der Bundesbehörde, Politiker und Juristen. Ich sah mich Menschen gegenüber, die
alles
für ganz richtig hielten, was man bisher mit den Hinterlassenschaften der Staatssicherheit angefangen hatte. Ich meinte: Freunde, was die Stasi mit uns gemacht hat, war schlimm. Wir aber müssen aufpassen, dass wir beim Umgang mit den Exkrementen nicht wieder Schlimmes tun. Die Wahrheit muss an den Tag. Aber sie muss schließlich freimachen. Wir müssen sorgfältig sein und differenziert vorgehen. Ich weiß aus meiner langjährigen Erfahrung, dass IM nicht gleich IM ist. Wir können keine allgemeine Hatz auf alle machen, die sich mit der Stasi eingelassen haben, sondern sollten jeden Fall prüfen und vor allem vorsichtig bleiben, ehe wir Namen in der Öffentlichkeit nennen, denn das Stigma verliert man danach nicht wieder, selbst wenn sich Dinge zugunsten des Beschuldigten geklärt haben. Man sei auch für die Wirkungen seines Tuns mitverantwortlich, nicht nur für die Absichten. Ich fragte sie, ob sie nicht völlig blind seien für die Wirkungen ihres Tuns. Zudem fügte ich hinzu, dass die Geheimdienste in der Welt sich – nach meiner Einschätzung – nur graduell und nicht prinzipiell unterschieden.
    Ich erntete ein für mich unvergessliches Hohngelächter aus dem Saal. Das könne man doch nicht vergleichen, empörte sich Herr Dr. Wolfgang Schäuble. Ich hatte etwas Unerhörtes gesagt. |103| Die Reaktion im Saal ließ mir das Blut gefrieren. Dort war ich zum Paria geworden. Hier war ich plötzlich wieder »der Feind«, der Nestbeschmutzer. Ich konnte mich nur noch trollen. Ja, ich hatte nicht auf eine lebenskluge Freundin gehört, die mir freundschaftlich-ironisch

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