Lass Es Gut Sein
fand auch einen Parkplatz. Haben Sie sich schon geprüft, wie vielen Verklärungen Sie in der »Rückschau« erlegen sind?
|99| Maulende, stets nur Ansprüche stellende, fortwährend die Hand aufhaltende Leute finden sich nicht zu knapp (und nicht nur im Osten). Die große Mehrheit aber will an- und zupacken und wird nirgendwo gebraucht, auch nicht nach der vierten Umschulung. Natürlich hört man Leute in Ostdeutschland sagen: »Es ging uns damals nicht gut, aber es ging uns allen wenigstens ungefähr gleich schlecht; wir wurden gebraucht, auch wenn es auf uns als Individuen nicht ankam; wir hatten keine besonders guten Perspektiven, aber wir hatten wenigstens eine.« Aber auch: »Ein Glück, dass wir dieses elende vormundschaftliche System endlich los sind. Jetzt gilt es, zuzupacken und die Risiken des Lebens auf uns zu nehmen.«
Mit der Vergangenheit leben – Wandlungen zutrauen
Die
Ostdeutschen hat es in Wirklichkeit nie gegeben: Es gab die
Überzeugten
und Staatstragenden. Es gab die große Masse der
Mitlaufenden
. Es gab die kleine Zahl der
Aufmüpfigen
, die danach bisweilen der Gefahr nicht widerstehen konnten, erlittene Ausgrenzung auf frühere Aus-Grenzer zu übertragen. Nun leben wir in einem Rechtsstaat, der auch denen zugute kommt, die diesen »bürgerlichen Klassenstaat« einst verachtet hatten. Da gilt es für Leidtragende des SED-Systems, eine menschlich oft harte Lektion zu lernen. Die innere Einheit aber wird erst gelingen, wenn auch die, die mit diesem Land und seinem System große Hoffnungen verbunden hatten, selbst jene, die von ihm »überzeugt« waren, erhobenen Hauptes leben dürfen und man ihnen eine Wandlung zumutet und zutraut. Eine solche Wandlung gilt es anzuerkennen und auch zu honorieren. Wie schwer das im Einzelnen ist, weiß ich selber nur zu gut, da ich erlebt habe, wie frech, keck oder geschmeidig sich alte Genossen gebärden und wieder obenauf schwimmen, im Übrigen auch DDR-Bürger, die aus der Schleimspur der sogenannten Blockparteien gekommen sind.
Nach dem Ende der DDR habe ich mich – zusammen mit einigen Widerständlern von damals – sehr dafür eingesetzt, dass |100| man den Leuten, die früher Verantwortung getragen hatten, eine Wandlung zutraut, dass wir also unseren Gegnern von gestern erlauben, gleichberechtigt die Demokratie mitzugestalten. Zugleich sollte natürlich das strafrechtlich Relevante vom Rechtsstaat verfolgt werden. Aber für wichtiger sahen wir die politische und moralische Auseinandersetzung
aller
an, die in der Diktatur gelebt hatten – ob als »Überzeugte«, als stille Nutznießer, als anpassungsbereite, gefügige Masse, als Dissident oder als Verfolgter. Je weiter weg die alten Kommunisten wohnten, desto leichter fiel es mir, »innerlich gnädig« mit ihnen umzugehen. Es ist unglaublich schwer, die ganz eigenen Feinde zu lieben! Und doch hat Dostojewski Recht, wenn er meint, dass in jedem Menschen das Antlitz Gottes verborgen ist und wir es suchen sollten. Und dass
ich
es suchen soll. Das ist ein hoher Anspruch. Ich weiß auch, dass Hass eine destruktivnegative Energie freisetzt, die tief geht und drahtlos übertragen wird.
Ein Beispiel: Ich habe 1992 mit einem Mann gesprochen, der zur kulturellen Nomenklatura der DDR gehört hatte. Es sollte um Vergangenheitsaufarbeitung gehen. Keiner traute sich, mit ihm zu reden – nicht zuletzt, weil er rhetorisch so brillant sein konnte. Er ist übrigens ein guter Schriftsteller, nämlich Hermann Kant. Zu mir sagte man, ich könne das Gespräch mit ihm unbelastet führen. Ich hatte ihn nicht gehasst. Ich hatte bei ihm nichts gut zu machen, hatte ihm weder etwas zu verdanken, noch konnte er mir vorhalten: »Wissen Sie nicht, wie Sie damals doch auch …« Deswegen hatten mich die Schriftsteller, die in Berlin-Pankow »Gespräche zur Selbstaufklärung« organisiert hatten, eingeladen. Ich kam mit dem Auto und suchte die Villa, in der Johannes R. Becher, Dichter, Autor der Nationalhymne und Kulturminister, gewohnt hatte. Da sah ich einen Mann mit einem kleinen Kind spazieren gehen. Es war Egon Krenz. Ich dachte: Jetzt hältst du einfach an und fragst ihn nach dem Weg. Drei Jahre nach Öffnung der Mauer: Egon Krenz geht ganz normal die Straße entlang. Ich sage zu ihm: »Herr Krenz, Sie gehen hier so ganz normal auf der Straße.« »Ja«, sagt er, »aber ich werde |101| beobachtet.« Ich sage zu ihm: »Herr Krenz, wir haben uns 45 Jahre nach links und rechts umdrehen müssen. Aber hier auf der Straße sehe
Weitere Kostenlose Bücher