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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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schwankenden Grunde der 1950 willkürlich (auf Politbürobeschluss hin) abgerissenen Ruine des Berliner Schlosses errichtet worden. Er bildete ein Gegengewicht zum Wilhelminischen Dom, dessen Fassade sich in ihm spiegelte. Diese Spiegelung ließ den Dom viel schöner erscheinen, als er wirklich ist. Nachdem seit den ersten Einheitstagen die Asbestentsorgung im Palast ideologisch hysterisch überfrachtet wurde, hat man ihn schließlich Stück für Stück ausgeweidet. In diesem Zustand war er gruselig-schön, wie geschaffen für die Ausstellung »Todesarten«. Seit Herbst 2006 stand das gigantisch unheimliche Stahlskelett in der Mitte der Hauptstadt. Nun wird ganz abgeräumt. Die vom Palast hinterlassene Lücke soll mit dem Sand des Vergessens aufgeschüttet werden, um dem virtuellen Schloss freien Raum zu schaffen. Aus den Augen, aus dem Sinn?!
    Der Umgang mit den Überbleibseln des Arbeiter- und Bauernstaates in der Nach-Wende-Zeit ist in weiten Teilen eine Geschichte der realen wie symbolischen Demütigung. Ganztagsschulen, Polikliniken, Abfallentsorgung, Kinderkrippen –
nichts
mehr sollte gelten. So vieles wurde allzu schnell und gedankenlos einfach ersetzt durch das, was sich »im Westen bewährt hatte«. Spreewaldgurken, Rotkäppchensekt und wenige andere Ostprodukte, Kati Witt und ihr Sächsisch, das liebliche Sandmännchen und der als heiliger Gral gehütete gärende Schatz der Schnüffler bleiben uns erhalten. Das ruft reflexartig Nostalgiker auf den Plan: Die DDR – ein Friedensstaat mit Recht auf Arbeit, auf Bildung, Wohnung, Erholung, Recht auf Fürsorge und Betreuung, Schutz von Gesundheit und Arbeitskraft, Recht und Ehrenpflicht der Verteidigung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit – im Rahmen der Grundsätze und Ziele des sozialistischen |93| Staates natürlich –, Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebietes, ja auch »das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben«. Noch Fragen? Sollte man da nicht gern leben und seinem Staate nicht dankbar und gehorsam sein? Gab es in der DDR kein gültiges Leben, keine Träume und Glück, Musik, Tanz und Theater, Hoffnungen und Kämpfe?
    Der beflissene Anpassungswettlauf an die neuen Verhältnisse hat sofort nach dem 9. November 1989 in bewährter »Nationaler Einheitsfront« eingesetzt – doch das schnelle Abstreifen oder Abduschen der DDR-Vergangenheit ist nicht gelungen. »Uns« haftet die DDR noch lebenslang an. Wir sollten alte wie neue Widersprüche, durch die sich ein Volk allzu gerne hindurchmogelt, nicht beschweigen. Wirklich hinter sich lassen kann man nur, was man angenommen und durchgearbeitet hat, statt es einfach beiseitezuräumen.
    Es ging im ost-west-deutschen Bruderzwist über Geschichte immer um weit mehr als um das Schicksal von Gebäuden wie diesem Palast, der sich freilich in seiner Ästhetik mit so mancher westlichen Architektur gut messen ließ. Es wäre angemessener gewesen, ihn innen umzufunktionieren, aber die Fassade stehenzulassen – gerade
wegen
seiner Geschichte. So, wie es richtig und wichtig ist, Spuren und Überreste der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer zu bewahren, weil aus der Geschichte zu lernen ist.
    Vornehmlich westliche Wissenschaftler, die ihre historische Anatomie am lebenden Objekt unentwegt und mit Eifer betreiben, erklären uns,
wer
wir gewesen sind,
wie
wir gewesen sind,
was
gewesen ist,
warum
es so gewesen ist und warum wir heute so sind, wie wir sind. Das sind Fragen, die wir nicht den Gelehrten überlassen sollten, sondern über die wir gemeinsam in Ost und West nachdenken und reden sollten. Wirklich verstehen, wer »wir« sind, kann nur, wer sich klarzumachen versucht, was es heißt, 28 Jahre lang eingemauert leben zu müssen.
    |94| Verstehen, was uns trennt
    Willy Brandt sagte am 4. Oktober 1990 bei der ersten gemeinsamen Debatte von Ost- und Westdeutschen im Bundestag, also einen Tag nach der formalen Vereinigung und acht Wochen vor den ersten gesamtdeutschen freien Wahlen: »Die wirtschaftliche Aufforstung und soziale Absicherung liegen nicht außerhalb unseres Leistungsvermögens. Die Überbrückung geistig-kultureller Hemmschwellen und seelischer Barrieren mag schwieriger sein. Aber mit Achtung und Respekt vor dem Selbstgefühl der bisher von uns getrennten Landsleute wird es möglich sein, dass ohne entstellende Narben zusammenwächst, was zusammengehört.«
    Für mich bleibt die Gegenwart der Vergangenheit ein Lebensthema. Ich bin groß

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