Lass Es Gut Sein
so viele Menschen mit verletztem Selbstwertgefühl leben.«
|90| Achtzehn Jahre später kann ich die Worte von damals nur wieder bekräftigen: Die offene Wunde DDR ist (nur) oberflächlich verheilt. Von der sogenannten inneren Einheit sind wir noch weit entfernt. Zwar verwächst sich vieles, und die Gemeinsamkeiten in Ost und West, auch gemeinsame Probleme, nehmen zu, doch nicht wenige Ostdeutsche leiden unter Wundschmerzen. Zahlreiche Demütigungen aus der Nachwende-Zeit sind nicht vergessen. Enttäuschung, Mutlosigkeit und eine DDR-typische Apathie sind angesichts der ökonomischen und sozialen Schieflage sogar wieder gewachsen.
Negatives fällt im Regelfalle bei uns allen immer tiefer als das Positive! Welche Wut hat Christian Pfeiffer ausgelöst mit seinen Einlassungen über die Ursachen der Gewalt bei jungen Ostdeutschen nach der Melodie »Wie man getopft wird, so schlägt man«. Für die Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland machte der westdeutsche Kriminologe die Kindererziehung in der DDR verantwortlich, da in den Krippen alle Kinder das Geschäft zur gleichen Zeit hätten machen müssen. Die DDR-Vergangenheit ist an allem schuld, nicht
jetzige
Umstände? Das bleibt in Erinnerung, und Pfeiffer muss für vielen anderen Frust über den Westen herhalten.
Was trieb die Ausstellungsmacher 1999 in Weimar dazu, die sogenannte Ostkunst direkt im Stockwerk über der Nazikunst so aufzuhängen, dass sie gehenkt wurde? Warum wurden die Werke der DDR-Künstler an den Wänden so dicht angeordnet, das keines mehr eigenständige Wirkung entfalten konnte?
Anfang der 90er Jahre wurde Christa Wolf öffentlich denunziert und demontiert. In welchem Verhältnis steht das zu den Reaktionen auf die intensive, langjährige, andere Menschen belastende Spitzeltätigkeit des nachmaligen großen Helden Robert Havemann!
Ich erinnere an die umstrittene Art, die politische Vergangenheit aufzuarbeiten – mit Selbstentlastung der Masse der Steigbügelhalter und opportunistisch-gehorsamen Mitläufer. Seit 1990 hat man die Stasikeule fortwährend geschwungen. Die |91| Stasiakten geben erdrückend Auskunft über Spitzeltätigkeiten und vermitteln viele erschreckende Erkenntnisse, doch sie zeigen auch, dass zahlreiche Vorwürfe ungerechtfertigt waren – bis hin zur unendlichen Stolpe-Geschichte. Die »halbe Kirche würde auffliegen«, behauptete der Kirchenhistoriker Gerhard Besier, der heute bei Scientology Festvorträge hält.
Der Internist Eckart Ulrich schrieb 1968 darüber, wie in unserer Welt alles »auf sechs Volt in Reihe geschaltet« wird – »die Wohnblocks sind nummeriert«. Er hat sich 1991 das Leben genommen – wegen Stasivorwürfen. Ihm fehlte die Kraft, deren Entkräftung abzuwarten. Die schnellen Vor-Verurteiler sahen auch danach keinen Anlass, sich öffentlich und gebührend zu entschuldigen. Es war und ist unerlässlich, über das Unwesen des Stasisystems aufzuklären. Wo aber bleibt der öffentliche Blick in die Akten der anderen Geheimdienste während des Kalten Krieges?
Tonnenweise wurden 1990 Bücher und Schallplatten aus der DDR auf den Müll verbracht. »Alles muss raus!« Alles musste weg. »Unser schönes Deutschland« war ein erfolgreiches, wunderbar bebildertes Buch, das ich 1989 geschenkt bekam. Der Osten kam nur mit einem Foto von Westberlin aus auf den Ulbrichtschen »Protzpimmel« vor. 1990 erschien keine neue Ausgabe, sondern eine »Erweiterte Auflage«. Das sagte und das sagt alles.
Christoph Hein, 2004 vom damaligen Berliner Kultursenator Thomas Flierl (PDS), einem Ostdeutschen, zum Intendanten des Deutschen Theaters ernannt, trat das Amt nicht an. Er begründete seine Entscheidung mit »massiven Vorverurteilungen« seiner Person und einem »vergifteten, feindseligen Klima«. Ausgerechnet Hein verdächtigten Politiker und Leute aus der Theaterzunft der Ostalgie!
Der Spitzensport, der dieses kleine Land DDR viel kostete, wird denunziert. Wolfgang Schäuble hingegen sagte, die Erfolge von DDR-Sportlern ließen sich nicht auf Stasi und Doping reduzieren, wenngleich Sport in der DDR natürlich politisch instrumentalisiert wurde.
|92| Vermochten Ostdeutsche 2005 immer noch nicht auf Westniveau zu lästern, so dass keiner bei der Scheibenwischer-Gala zur Klar-Sicht beitragen konnte?
Der Palast der Republik ist ein lang umstrittenes Symbol für den (glücklicherweise) untergegangenen Zwangsbeglückungsstaat DDR. Dieser Protzbau, Erichs Lampenladen, war 1973 bis 1976 zulasten der ganzen Republik auf dem
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