Lass Es Gut Sein
vorher ins Stammbuch geschrieben hatte: »Friedrich, musst du dich in jedes bereitgestellte Schwert stürzen?« Und ich hatte gedacht, ich müsse dort hingehen, eben weil ich weder zu den Verstrickten noch zu den Verharmlosern und Vertuschern der Stasimachenschaften gehöre. Dazu hatte ich zu viel erlebt und als Pfarrer in der DDR auch ohne die Akten gewusst. Ich wollte den jetzigen Aktenverwaltern und Publizisten sagen: »Freunde, lasst uns nach zehn Jahren genauer angucken, was wir – auch in bester Absicht – auslösen, wo wir neue Belastung schaffen, wo wir doch Befreiung wollten.« Aber ich hatte nur Hass geerntet. Ich war wieder tagelang geistig und psychisch gelähmt. Ich war müde in meinem Herzen. So etwas will ich mir nicht wieder zumuten. Es gibt Situationen, da kannst du wirklich nichts machen. Da veränderst du nichts. Du lädst nur alles auf dich.
Wenn ich wieder in eine ähnliche Lage zu kommen drohe, rede ich mir gut zu: »Nun mal keine Weinerlichkeit!« Und denke an Menschen, die sich unermüdlich für die innere Einheit eingesetzt haben und einsetzen. Ich kann hier nur einige nennen: Professor Paul Raabe aus Wolfenbüttel hat mit seinem Engagement für Halle, insbesondere für den Wiederaufbau der Franckeschen Stiftungen, Unglaubliches zuwege gebracht und geschickt finanzkräftige Hilfe akquiriert.
Hinrich Lehmann-Grube hat als Oberbürgermeister von Leipzig dieser wunderbar lebendigen Stadt eine Entwicklung ermöglicht und dabei ostdeutsche Kompetenz geschickt abzurufen gewusst.
Die Bundespräsidenten Weizsäcker, Herzog und Rau ließen uns durch ihre Art des Umgangs spüren, dass sie wirklich »unsere Bundespräsidenten« waren, während »wir« aus Devotion (!) weitgehend gewöhnt waren, »unser Staatsratsvorsitzender« zu sagen. An dieser Formulierung wird deutlich, wie bestimmte |104| Worte nach wie vor in Ost und West anders verstanden werden. Einige Worte bleiben längere Zeit kontaminiert.
Hans-Otto Bräutigam mit seiner Erfahrung als Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der Regierung der DDR half, das Justizwesen in Brandenburg aufzubauen, und seine Einlassungen zum Umgang mit DDR-Geschichte und mit den unterschiedlichen und zu unterscheidenden Protagonisten des SED-Systems sorgten in Debatten oft für Klarheit.
Dem besonderen Einsatz von Gottfried Kiesow in der »Deutschen Stiftung Denkmalschutz« verdanken unzählige historische Bauwerke ihre Erhaltung, ihre Renovierung oder gar ihren Wiederaufbau, wie die Ruine der St. Georgen Kirche in Wismar. Beim Namen Kiesow leuchten überall die Augen, wo man auch hinkommt.
Es gab und es gibt wunderbare Anwälte der Verständigung und des einfühlsamen Verstehens wie Hildegard Hamm-Brücher, Hans-Dietrich Genscher, Antje Vollmer, Horst-Eberhard Richter und Klaus Staeck. All ihre Bemühungen haben die deutschen Stachelschweine in toto nicht erreicht. Bei jedem wärmenden Zusammenrücken stechen sie sich gegenseitig, rücken wieder auseinander und frieren.
Die geistig-mentalen, die sozial-politischen und die ökonomischen Fragen vermischen sich und wirken aufeinander zurück; mich bewegen insbesondere die geistigen Ströme bzw. Gegenströme, all das, was Menschen im Innersten bestimmt. Unsere politischen Urteile kommen aus Erfahrungen mit der realen Umwelt, die mit einem bestimmten Koordinatensystem verbunden waren, gewissermaßen langjährig aufgeladen, je anders herausgebildet. Es ist überhaupt nicht wegzureden, dass es noch längere Zeit dann und wann spürbare Ost-West-Differenzen geben wird. Warum sollte das nicht so sein, wenn es nur in Gleichachtung geschieht? Es ist doch nicht verwunderlich, dass Ostdeutsche mehrheitlich anders über den »Palast der Republik« denken als westdeutsche Schlossbefürworter. Daran hängt Geschichte, unsere.
|105| Das Gelingen der Einheit setzt nach wie vor die Bereitschaft jedes Einzelnen voraus, dass wir einander verstehen lernen, ehe wir uns bewerten, sowie die Einstellung, dass Herkunft zwar wichtig bleibt, wichtig bleiben und bereichernd wirken kann, aber nicht das erste und das entscheidende Kriterium der Bewertung ist – ob die Leute nun sächseln oder ob sie schwäbeln, ob sie aus Vorpommern oder aus Hinterzarten kommen.
Mit enttäuschten Hoffnungen umgehen
»Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in Eschwege, gleich nach der Maueröffnung, bei dem ich, inmitten all der Wendeeuphorie, langsam und gegen meinen Willen eine große Enttäuschung hochsteigen fühlte, über die mich
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