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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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aber lässt sich auf Dauer kaum ohne Akzeptanzverlust des demokratischen Systems ertragen.
    Freiheit besteht nicht ohne ein bestimmtes Maß an Gerechtigkeit. Freiheit führt dazu, dass es weniger Anweisung gibt, dafür mehr Entscheidungsmöglichkeit, zugleich mehr Entscheidungsnotwendigkeit.
    Ergo: Freiheit, Mitbestimmung, Selbstbewusstsein, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit braucht unser vereintes demokratisches Gemeinwesen, in welchem wir uns einander nach unserer 40 Jahre getrennten Geschichte respektieren.
    |110| Trümmer der Vergangenheit? Bausteine für die Zukunft!
     
    Auferstanden aus Ruinen
    Und der Zukunft zugewandt,
    Lass uns dir zum Guten dienen,
    Deutschland, einig Vaterland.
    Alte Not gilt es zu zwingen,
    Und wir zwingen sie vereint,
    Denn es muss uns doch gelingen,
    Dass die Sonne, schön wie nie
    Über Deutschland scheint.
    …
    Lasst das Licht des Friedens scheinen,
    dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.
    Lasst uns pflügen, lasst uns bauen,
    Lernt und schafft wie nie zuvor,
    Und der eig’nen Kraft vertrauend,
    Steigt ein frei Geschlecht empor …
     
    Ist es prinzipiell verwerflich, wenn Menschen diesem Welterlösungspathos gefolgt sind, die Trümmer des deutschen Raubkrieges vor Augen? Wer sollte etwas gegen eine
Neue
Welt einzuwenden haben, in der der Einzelne in der Gesellschaft aufgehoben, aufgefangen ist? Sich in nichtentfremdeter Arbeit zum Wohle des Ganzen zu verwirklichen schien möglich, wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen durch die kollektive Verfügung über die Produktionsmittel beseitigt, die sozialen Unterschiede aufgehoben, die Gleichberechtigung der Frau und Bildung für alle (besonders für die Kinder der Arbeiter und Bauern) garantiert wären (wie in der Verfassung proklamiert). Weltfrieden und Völkerfreundschaft als »internationalistische« Ziele schienen verwirklichbar in einer Welt, in der nicht bloß die Kriege, sondern auch die Ursachen für Kriege und Unterdrückung beseitigt werden würden. Das alles hatte eine durchaus nachvollziehbare Faszination: Endlich sollte die Geschichte der Menschheit eine menschliche Geschichte werden! |111| Wer daran mitwirken wollte, musste nur ein kleines Credo verinnerlichen: Die Partei hat immer Recht, und im Mittelpunkt steht der Mensch, aber nicht der Einzelne. Noch Fragen?
    Mit der Menschheitsutopie Sozialismus – zum wissenschaftlichen Sozialismus erklärt – verfolgte man von Beginn an eine »Utopie der Säuberung« (genau wie einst die Heilige Inquisition). Warum das nötig sei, erfuhr jeder Heranwachsende aus Nikolai Ostrowskis »Wie der Stahl gehärtet wurde«, was das existenziell für Millionen bedeutete, erst viel später, etwa in Anatoli Rybakows »Die Kinder vom Arbat« oder in »Stadt der Angst«.
    Das einstige kommunistische Weltsystem, eine deutsche Erfindung – unter Mithilfe des deutschen Generalstabs in Russland installiert –, beruhte im Grunde auf »verführtem Denken« (Milosz), weshalb nicht wenige DDR-Bürger noch heute meinen, der Sozialismus bleibe eine wunderbare Idee, sie sei nur schlecht
gemacht
worden. Eine grundlegende Analyse steht noch immer aus.
    Der Germanist Hans Mayer, der bis heute bekannte Schriftsteller aus der DDR maßgeblich geprägt hat, verließ 1963 die Karl-Marx-Universität Leipzig und lehrte fortan in Hannover, wurde zu einem vielgefragten Intellektuellen der Bundesrepublik. Der Wechsel in den Westen – aus politischen Gründen – machte ihn indes nicht zu einem Antikommunisten. Mayer hat 1991 ein Buch mit dem Titel »Der Turm von Babel. Eine Erinnerung an eine Deutsche Demokratische Republik« publiziert, »gewidmet meinem Freunde Stephan Hermlin«. Darin erklärt er, auch die DDR sei »eine Utopie gewesen«, und erinnert an viele historische Misserfolge anderer menschlicher Utopien – bis hin zu den großen Verbrechen in »verwirklichten Utopien«.
    »Viele Jahre lang wurde in fünf deutschen Ländern nicht bloß unterdrückt und bestraft, hochmütig belehrt, sondern auch gehofft, gewartet, die Vernunft und Menschlichkeit ›geplant‹ für Frauen, für Künstler, alte Leute, für Arme und Unwissende.« Die DDR war alles in allem ein Versuch – freilich ein untauglicher
und
mit untauglichen Mitteln.
    |112| Die Frage kann heute nicht sein, wie man nachträglich
alles
aus der DDR-Zeit erledigt und in Grund und Boden verdammt, sondern sie muss lauten: Was wollten einstige Akteure – vom Genossen über den Mitläufer bis zum Widerständler – und was können

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