Lass Es Gut Sein
Armee ist vor Exzessen gefeit. Das zeigen uns die Bilder von Kriegen bis heute.
Der ehemalige Chef der Grenztruppen der DDR, Generaloberst Baumgarten, erklärte: »Lehnte ein Grenzer den Gebrauch der Schusswaffe ab, so wurde er in Ausbildungs- oder rückwärtige Einheiten versetzt. Wir haben unsere Grenzsoldaten … zur Achtung des Lebens als höchstes Menschengut erzogen.« Kein Wort verlor er indes über die Toten an der Grenze. Als ob es eines Beweises bedurft hätte, wie konsequent Militärs
jede
Kritik abwehren.
|160| Der Krieg gegen den Terror als Gefährdung unserer Gesellschaft
Es gilt heute nüchtern festzustellen, dass es Feinde gibt, denen eine demokratische offene Gesellschaft nicht passt und die ihre (terroristischen) Aktionen mit unterschiedlichem ideologischreligiösem Überbau garnieren. Und es gilt festzuhalten, dass gegen sie in gemeinsamer Anstrengung oder gar im Kampf der Völkergemeinschaft vorgegangen werden muss. Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, wie problematisch ein solcher Kampfzustand für unsere Gesellschaft ist.
Die Gefahr in jeder Auseinandersetzung mit einem »Feind« besteht darin, dass man sich ein Bild von ihm macht und dieses so sehr generalisiert, dass die so Etikettierten tatsächlich so werden (müssen), wie man von ihnen denkt. Man selbst merkt hingegen nicht, wie ähnlich man ihm im Kampf mitsamt dem Feindbild wird. Der Kampf gegen den Islam als Kampf gegen islamistisch-aggressiven Fundamentalismus ist eine solche Gefahr für die Substanz unserer laizistischen bzw. säkularen demokratischen Gesellschaften.
Der »New War« dauert nunmehr seit Jahren an als ein Krieg gegen einen kaum fassbaren Weltfeind. Da lohnt es sich endlich wieder zu leben, zu kämpfen, sein Leben hinzugeben für die große Sache des Volkes und dem Feind »bis in die verborgensten Winkel der Welt« zu folgen und für angetanes Unrecht – auch emotionale – Genugtuung zu suchen. Bin Laden als Hauptverantwortlicher für die Anschläge vom 11. 9. 2001 ist inzwischen zu einem wirkmächtigen Phantom mutiert. Man kann heute gar nicht mehr so sicher sein, ob alles daran gesetzt wird, ihn selbst zu fassen, oder ob dieses Phantom den Bekämpfungsstrategien gar besser dient, solange er so anonym aktiv bleibt. Es muss die Frage gestellt werden: Kämpfen wir tatsächlich gegen reale Feinde? Oder (ge)brauchen wir wieder Feindbilder?
Jede Gesellschaft ist zur Hysterisierung fähig, sowie sie sich auf ein kollektives Bedrohungsszenarium verständigt, das sich an einem konkreten Anlass entzündet, aber sogleich zur Generalisierung |161| führt und Abwehrreflexe mobilisiert. Ein gemeinsames, möglichst kräftiges, emotional aufgeladenes, angstbesetztes und so zu besonderer gemeinsamer Gegenwehr anspornendes Feindbild bindet eine Gesellschaft (wie jede kleine oder größere Gemeinschaft) offenbar kraftvoller zusammen, als das jede positive Idee, jede Utopie und jedes Leitbild vermag.
Wenn ein innerer Zerfall droht, dient ein äußeres Bedrohungsszenarium zur Stabilisierung des Staates. Zumeist ist hiermit auch der Abbau demokratischer Freiheitsrechte verbunden. Denn: Ein Phantom erfordert in seiner Allgegenwärtigkeit und Ungreifbarkeit gesteigerte Wachsamkeit und kann drastische politische Maßnahmen als die einzig wirksamen Mittel im Kampf gegen den Feind rechtfertigen. »Um des gemeinsamen Kampfes gegen den Feind willen« müssten die Freiheitsrechte eben eingeschränkt werden. Zudem müsse die Wachsamkeit erhöht werden, denn der innere Feind arbeite mit dem äußeren zusammen, oder er sei gar dessen fünfte Kolonne. Wer da anfängt zu differenzieren, macht sich angeblich der Verharmlosung schuldig. Wer der Vereinfachung entgegentritt, stört das nationale Volksempfinden, wird unpatriotischer Gesinnungen geziehen. Wo eine Gesellschaft kein lohnendes gemeinsames Ziel mehr benennen kann, muss sie wenigstens einen Feind haben, um im Kampf gegen diesen einig zu sein und alle Kräfte zu mobilisieren. Wer da kritisch rückfragt, wird leicht als (unbewusster) Agent des Feindes denunziert oder mindestens verdächtigt, ihm »objektiv« in die Hände zu arbeiten, ihm vorwerfend, er würde die Gefahr verharmlosen und mache sich mitschuldig an künftigem Unglück.
Um die Abwehrbereitschaft der Bürger auf hoher Stufe und einen bestimmten Pegel an Hysterisierung zu erhalten, muss es auf der Gefahrenskala ständig Bewegung geben: Wie oft gab es in den Vereinigten Staaten seit dem 11. 9. den »Code Orange«,
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