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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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zumal kurz vor besonders wichtigen politischen Entscheidungen? Es war zwar nichts passiert, aber der Angstpegel war wieder hochgegangen! Die bisher völlig ungeklärten Anthrax-Anschläge dienten ebenso zur Steigerung des permanenten |162| Gefahrenbewusstseins wie auch alle seither weltweit eingeführten Sicherheitsvorkehrungen mit diffizilen Abtast-Ritualen beim Betreten diverser öffentlicher Gebäude etc. etc.
    Und wir in Deutschland? Wohin soll denn der Eurofighter fliegen, der das »Rückgrat der europäischen Luftwaffen für die kommenden dreißig Jahre« werden soll? Er kann, wie
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meldet, »zwanzig Ziele in der Luft gleichzeitig verfolgen und Gegner schon aus 130 km Entfernung bekämpfen«. Wo aber ist der Feind für ihn? Muss er noch gesucht und gefunden werden, um seine Kosten zu rechtfertigen? Er wird sich schon finden lassen … Immer gibt es Feinde, die einem den Gefallen tun, als Feindbild herzuhalten.
    Dabei sollten wir doch aus der Vergangenheit gelernt haben und hochsensibel sein für die mögliche Instrumentalisierung von Feindbildern. Ein Rückblick in unsere deutsche Geschichte ist doch auch ein Blick in Abgründe: Hitler wäre kaum zu solcher Machtentfaltung gelangt und hätte die hysterische Zustimmung der Mehrheit des deutschen Volkes nicht bekommen, wenn die Nazis nicht die Feindbilder vom Bolschewismus, von der Weltverschwörung des Judentums, von amerikanischer Finanzoligarchie samt Versailler »Schandvertrag« gebraucht hätten. Dazu kam die Abwertung alles »Nicht-Arischen«, das die Barrieren für dessen Vernichtung oder Versklavung mitten in einem Kulturvolk niedrig machte. Schließlich verbanden sodann gemeinsam verübte – ob unter Befehl oder als Befehlsgeber – Verbrechen in geschürter Angst vor der Rache der Gegner.
    Die Strategie besteht stets darin, dem Gegner alles zu unterstellen, was »böse« ist, sich selbst das Gute zuzurechnen bzw. sich selbst auf der Seite der »Guten« zu sehen. Die Kommunisten kannten dieses Muster und spielten auch darauf mit der Lenin’schen Frage: Wer wen? Das ideologisch untermauerte Feindbild vom aggressiven Imperialismus konnte alles rechtfertigen: die GULAGs, die Schauprozesse, die Ermordung Trotzkis, die Zensur, die Einmärsche in die Tschechoslowakei und in Afghanistan. Ein Feind(-Bild) macht eine politische Aktion immer politisch-strategisch stimmig und im Volke zustimmungsfähig. |163| Wer 40 Jahre im kommunistischen System gelebt hat, kennt diese Mechanismen und ist nur etwas verwundert darüber, wie strukturparallel solche Vorgänge offensichtlich selbst heute in demokratischen Gesellschaften ablaufen.
    Demokratien, die sich auf die Verwirklichung der Allgemeinen Menschenrechte als eines ständig gefährdeten und zugleich lohnenden Prozesses einlassen, muss aber daran gelegen sein, im Kampf gegen die Feinde ihres Gesellschaftsmodells nicht allmählich die Handlungsprinzipien ihrer Gegner zu übernehmen. Vielmehr müsste »das feine Metier der Diplomatie«, wie Johannes Paul II. das nannte, wirksam werden zusammen mit einer »Volksdiplomatie« – als Versuch der Verständigung der Völker zur Unterstützung internationaler Institutionen, die den mühsamen Weg des Interessenausgleiches zur Existenzsicherung aller (samt allen unvermeidbaren Konflikten) suchen.
    Das ist die zu jeder Zeit von allen persönlich und politisch abverlangte zivilisatorische Leistung – es sei denn, man bliebe sich einig in seinen Vor-Urteilen: Die Amerikaner sind arrogant und geschmacklos, die Russen gefährlich und grob, die Muslime tendenziell terroristisch, die Ukrainer mafiös, die Wessis großfressig, die Ossis jammervoll, die Katholiken falsch, die Protestanten freudlos, die Politiker machtgeil, die Parteien opportunistisch, die Unternehmen gewinnsüchtig, die Gewerkschafter betonköpfig. Nur wir selbst sind ganz in Ordnung!
    Voraussetzung für den Frieden ist der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern, der unermüdliche Versuch, die Ursachen von Feindschaften auszuräumen und gemeinsam mit der Stärke des Rechts gegen die zu stehen, die auf der Klaviatur von Gewalt, destruktiver Stärke, Überlegenheit, Omnipotenz, Potenzphantasien oder religiös-apokalyptischer Zerstörungsszenarien leben. Nur dann kann Frieden wirklich Frieden und nicht der Anfang eines neuen Krieges sein. Kein Sieg-Frieden, sondern fairer Ausgleich. Miteinander leben, einander ertragen, einander leben lassen auf dieser einen wunderbaren so zerrissenen Erde.
    Max Frisch sagte in seiner

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