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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Krieg Deutsche gekostet hat. Viele hatten alles verloren – 12 Millionen Ostpreußen, Pommern, Schlesier, Sudentendeutsche gar ihre Heimat. Eine Bauernfamilie aus Schlesien, die für den Überfall auf Polen mit dem Verlust ihrer Heimat büßte, wird von dem sprechen, was sie erlebt und erlitten hat. Viele deutsche Frauen wurden von verrohter Soldateska vergewaltigt; ihnen wurde es verständlicherweise nie möglich, vom 8. Mai als einem »Tag der Befreiung« zu sprechen. Aber mit dem Ende des Krieges konnte die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Nationen beginnen.
    Wer individuell leiden muss, ohne besondere persönliche Schuld zu haben, wen das Schicksal einfach hart trifft, dem sind historische Prozesse, deren Teil er ist, nur schwer nahezubringen. Die »Entnazifizierung« erwies sich als schwierig (obwohl sich die Deutschen westlich wie östlich ihren Schutzmächten gegenüber schnell sehr gelehrig zeigten). Das zerstörte Land zwang zu äußerster Anstrengung beim Wiederaufbau, und diese Anstrengung befreite weithin vom Nachdenken über sich selbst:
    Warum konnten wir diesem verbrecherischen Wahnsinn nicht selbst Einhalt gebieten? Wollten die Deutschen nichts wissen, weil Wissen zu gefährlich war, oder hat man einfach weggehört und wegsehen wollen? Ich will über niemanden richten – aber um der Zukunft willen müssen solche Fragen gestellt werden.
    Diese Fragen lasten weiter auf uns. Wir können letztlich nur froh sein, dass wir nicht einen abgemilderten Faschismus ohne Hitler bekommen haben und nach der bedingungslosen Niederlage einen Neuanfang wagen konnten.
    War es nicht alles in allem eine großartige Integrationsleistung der deutschen Nachkriegsgesellschaft in Ost und West, Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten aufzunehmen, sie im ganzen Land anzusiedeln, statt sie in Dauerlager zu pferchen? Es musste überall Platz für sie geschaffen werden, das ging nicht ohne Konflikte und Druck. Aber was wäre geworden, |181| wenn man sie in Wartelager gesteckt hätte, Flüchtlingsghettos – also in deutsche »Gazastreifen« an der Oder oder an der Weser?
     
    All das kommt wieder hoch, wenn wir jährlich an den 8. Mai zurückdenken. Die Freude der aus den KZs Befreiten ist sogleich Quelle der Scham für die, in deren Land und von deren Mitbürgern solche KZs als Vernichtungslager betrieben wurden. Das Leid ist von niemandem zu ermessen – und die Verbrechen bleiben unbegreiflich und unverzeihlich.
    Der 8. Mai wurde ein
Tag der befreienden Niederlage
, auch wenn nun viele Deutsche für etwas büßen mussten, das sie nicht persönlich verschuldet hatten, auch wenn das Leiden so unbegreiflich ungleich verteilt wurde. Ein unempfindsames »Schicksal« schlug zu, während andere schnell (wieder) oben waren. (Wohl zehnmal habe ich den Film »Wir Wunderkinder« gesehen – eine entsprechend selbstkritische Sicht gab es aus der DDR damals nicht, Humor schon gar nicht.)
    Ich denke besonders an alle, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, und an alle, die im Bombenterror gegen unsere Städte umkamen oder alles verloren, was ihnen lieb und teuer gewesen war. Ich denke auch an alle, die ohne besondere persönliche Schuld in die Lager der GPU gepfercht wurden und dort Ähnliches erleiden mussten wie diejenigen, die gerade aus den KZs, den deutschen Vernichtungslagern, befreit worden waren. Und dennoch war das nicht »dasselbe«, wie es jetzt häufiger aufrechnend-selbstentschuldigend klingt, bis man vorrangig von den »deutschen Opfern« spricht und die »Täterperspektive« sich in der Erinnerung ganz nach vorn schiebt. Man denke an den Erfolg des Films »Der Untergang« mit Bruno Ganz im Unterschied zur schwachen Resonanz auf den beeindruckenden Dachau-Film »Der Neunte Tag« mit Ulrich Matthes.
    Wir können es den westlichen Siegermächten nicht hoch genug anrechnen, dass sie die Fehler von Versailles nicht wiederholt haben, dass sie Deutschland nicht auf ewig zerstückelten, dass sie Deutschland nicht nach Morgenthaus Plänen |182| deindustrialisierten, sondern den (West-)Deutschen halfen, die Demokratie aufzubauen, ein demokratisches Bewusstsein herauszubilden, verbunden mit einer enormen materiellen Hilfe, dem
Marshall-Plan
als ökonomisches Aufbau- und Anschubprogramm, das Deutschland ökonomisch und damit auch den Einzelnen sozial wieder nach oben brachte.
    Für mich bleibt es ein Wunder, mit wie wenig Hass uns die Polen begegnet sind oder wie viel Zutrauen uns überlebende

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