Lass Es Gut Sein
bewahren.
Dialog ermöglicht, Schwächen, Fehler, Versagen und Schuld einzugestehen, ohne die eigene Menschenwürde zu verlieren.
Im Dialog werden eigene und gesellschaftliche Tabugrenzen überschritten, die bisher anderen angelastet und bei ihnen bekämpft wurden.
Dialog führt zu größerer Ganzheit im persönlichen und gesellschaftlichen Leben. Er hilft, widersprüchliche Impulse zu integrieren und ihre Potenzen für die Weiterentwicklung zu gewinnen.
Diese Thesen wurden für eine friedliche Konfliktlösung 1989 handlungswirksam. Ein Dialog setzt stets voraus, dass es Partner |187| mit Positionen gibt und man sich gegenseitig Toleranz gewährt. »Im Widerspruch zu sich selbst beginnt der Dialog.« (Elazar Benyonetz)
Es ist aber inzwischen geradezu schick geworden, Menschen zu verhöhnen, die etwas wert- und hochhalten. Diese würden als sogenannte Gutmenschen nur noch, wie es dann heißt, »nerven«. Wer aber nichts mehr will, wem jedes Engagement sinnlos erscheint, wer keine behaftbare Meinung oder Haltung mehr hat, macht sich genüsslich über die her, die eine haben. Er labt sich an der Negation, an der Zertrümmerung, an der Verachtung, die ihn bald selbst ergreift. Wer nichts mehr für richtig und wichtig hält, mit dem lohnt kein Gespräch mehr. Da wird alles zum beliebig austauschbaren, mehr oder weniger intellektuellen Geplänkel oder zum so publikumswirksamen wie entleerten Schlagabtausch. Statt Gespräch gibt es Event-Show.
Wer aus dem universalistischen Gott einen partikularen macht, für den wird »die Wahrheit« alsbald zu einer partikularen Speerspitze gegen andere. Meinem
ich glaube
tritt ein anderes
ich glaube
gegenüber, das ein
wir glauben
noch nicht möglich macht; aber in dem einen Gott angelegt ist.
In ihm leben, weben und sind wir.
Aus ihm kommen wir, in ihm werden wir sein. Der
Polytheismus der Beliebigkeit,
des Modischen und der geschmeidigen Gefälligkeiten ist mindestens so gefährlich wie der
Monotheismus der Entschiedenheit
oder der starren Prinzipien, wo dann stets Widersprüche und Widerspruch ausgeschlossen sind. Das eine provoziert das jeweils andere. Sie führen in die gleiche Sackgasse: die Arroganz eines
Roma locuta, causa finita,
also der Anmaßung, über die Wahrheit zu verfügen – genauso wie eine fundamentalistisch-enge
protestantische
Frömmigkeit, zu der uns bestimmte religiöse Gruppen aus den USA bekehren wollen, oder ein
muslimisches
Denken, das keinen freien, gar kritischen Gedanken zulässt, aber auch eine bestimmte
jüdische
, religiös aufgeladene aggressive Siedlermentalität. Jede dieser Orthodoxien lästert den einen Gott und erlaubt ihm keine Überraschungen.
In einer Zeit der Verunsicherung erwachen wieder Sehnsüchte nach Ein-Deutigkeit, nach rauschhaft-religiösem Eintauchen in |188| eine Masse Gleichgestimmter, nach einer auch Jugendliche massenhaft begeisternden Leitfigur – samt glorioser Inszenierungen für die Fernsehwelt, die Bilder braucht. Da gilt es für Protestanten, am kritischen Geist der »Unterscheidung der Geister« festzuhalten, am mündigen, innen- und gewissensgeleiteten Einzelnen, der in einer (Glaubens-)Gemeinschaft aufgehoben sein will, dort Orientierung und Vergewisserung erfährt, aber nie in der Gemeinschaft ganz aufgeht, sondern ein Ich bleibt: einmalig, unverwechselbar, hoch gewürdigt. »Würde-Trägerin und Würde-Träger« – jede Frau und jeder Mann mit ihren spezifischen Begabungen.
Gott wird unsere Bezugsgröße schlechthin bleiben im Vielerlei unserer Engagements, unserer konkurrierenden Prioritäten, unserer interessengeleiteten Absichten und unserer differierenden Lebensskripte. Gott wird im Alten Testament auch als ein Eifernder, als ein geradezu Eifersüchtiger vorgestellt, der nicht dulden will, dass wir anderen Göttern nachhängen. Wo aber wird heute ernsthaft um Gott gerungen, und was wird allgemein überhaupt noch gewusst über Gott?
Wenn 50 Prozent der Bürger – in Ost und West! – nicht mehr wissen, was Pfingsten bedeutet, und zugleich Pfingstmontag als quasi sozialer Besitzstand verteidigt wird, so deutet das auf einen kulturellen Notstand hin, auf innere Aushöhlung. Wir haben alle Hände voll zu tun, wir paar Christen, wenn wir denn wollen, dass unsere Kultur ihr Gepräge behält, ein Gepräge, das es verdient, weitergetragen zu werden.
Was hieße »Leitkultur Christentum« – mitten in einer multikulturellen und multipolaren, miteinander verflochtenen Welt? Von einer Leitkultur Christentum könnte
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