Lass Es Gut Sein
Militarismus müssen zerstört werden, und zwar durch die Deutschen selber. Je eher umso besser. Solange sich die Deutschen nicht selbst vom deutschen Militarismus befreit haben, so lange werden die Engländer und ihre |178| Verbündeten unter Waffen bleiben, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern … Deutschland könnte morgen Frieden haben, wenn es sich selbst von Hitler und dem Militarismus befreit – einen Frieden in Freiheit und in Gerechtigkeit.«
Das Naziregime hielt bis zuletzt an der perversen Demagogie vom zu verteidigenden »Abendland« fest. Am 18. April ’45 hieß es im »Völkischen Beobachter« angesichts der Offensive der Roten Armee an der Oder: »Im Osten entscheidet sich deshalb in diesen Tagen oder Wochen unerbittlich und unwiderruflich das Geschick des Abendlandes. Hier kämpft Europa in einer Front mit allen seinen großen Geistern der Vergangenheit. Hier steht das antike Griechenland wieder bei den Thermopylen und bei Salamis in seinem Entscheidungskampf gegen den persischen Osten. Hier steht Rom wieder gegen die orientalische Welt Karthagos auf. Hier kämpft das Europa der Völkerwanderung gegen den Hunnensturm …«
Welche furchtbaren Kämpfe wurden noch auf den Seelower Höhen und in Berlin geführt, bei denen 300 000 Sowjetsoldaten ihr Leben lassen mussten. Und in Halbe liegen abertausende deutsche Soldaten begraben. Heute ist dieser Ort ein bevorzugter Anlaufpunkt für Neonazis und Ewiggestrige.
Wir Deutschen mussten als Land und Volk besiegt werden. Deutschland wurde besetzt – zu seinem eigenen Vorteil. Wir mussten sowohl der Niederlage wie den Verbrechen ins Auge sehen, die von Deutschen und in deutschem Namen angerichtet worden waren, in ganz Europa.
In der US-Direktive JCS 1067 steht: »Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat. Ihr Ziel ist nicht die Unterdrückung, sondern die Besetzung Deutschlands, um alliierte Absichten zu verwirklichen. Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung zu werden.«
Das wurde erreicht – im Verlauf von Jahrzehnten.
Wer vom 8. Mai 1945 spricht, muss sich zuallererst der schmerzhaften Tatsache stellen, dass sechs Millionen jüdische Deutsche und europäische Juden fabrikmäßig vernichtet wurden. |179| Und er muss von den ungeheuren Opfern sprechen, die die Völker gebracht haben, etwa die Polen und die Völker, die zur damaligen Sowjetunion gehört haben.
Man kann nicht über den 8. Mai und seine Folgen nachdenken, ohne sich zu erinnern, welche Rassenideologie, welche »Volk-ohne-Raum«-Demagogie das NS-System verbreitete. Am »deutschen Wesen« sollte die Welt genesen, und die Volksgemeinschaft hat »den Führer« in einer totalitären, politischen Unio mystica bedrohlich-rauschhaft vergötzt. Es bleibt schwer begreiflich, wie unser Volk so verblendet sein konnte und das Regime bis zum Schluss begeistert oder abgeduckt-angstvoll mitgetragen und mit »Tapferkeit vor dem Feind« bis zuletzt verteidigt hat. Viele jüdische Deutsche hatten sich einfach nicht vorstellen können, dass dieses Volk, zu dem Bach und Beethoven, Mozart und Brahms, Schiller und Goethe, Herder, Fontane und Thomas Mann, Kant und Hegel gehören, zu einem solchen Zivilisationsbruch kommen konnte. Wie auch?
Die meisten Deutschen hatten sich vom Nazismus infizieren lassen. (Wer wollte im Juni 1940 beim Fall von Paris nicht »patriotisch« empfinden?!) Einige behielten Klarsicht und Einsicht, Mitgefühl und Mut – wie Sophie und Hans Scholl, wie Georg Elser, Dietrich Bonhoeffer und Propst Lichtenberg, wie der Kreisauer Kreis und die »Rote Kapelle«, wie Graf Stauffenberg und Graf Schwerin … und jene, die keinen großen Namen haben, wie z. B. die Märtyrer, an deren Schicksale in der Kapelle in Xanten erinnert wird. Diese wenigen Widerständler müssen uns nicht als Ikonen, schon gar nicht als Selbstrechtfertigung, sondern als eine Verpflichtung wichtig bleiben – uns als einer Nation, von der Goethe einmal (ausgerechnet während der Zeit der Preußischen Freiheitskriege) notierte: »Ich habe oft einen bitteren Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im Einzelnen und so miserabel im Ganzen ist.«
Jeder kann dazu beitragen, dass man diesen Satz umkehrt: Die Deutschen sind im Ganzen achtbar, auch wenn es im Einzelnen miserable Leute gibt. Wie überall.
|180| Freilich muss auch gesagt werden, welche Opfer der von Deutschen angezettelte
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