Lass mich in Dein Herz
fragte Valentin. »Gut. Hören wir den Zeugen. Herr Valentin, bitte.«
Er stand vom Richterplatz auf und setzte sich auf den Stuhl vor dem Richterpult. »Mein Name ist Thomas Valentin. Die letzten achtzehn Monate meines Lebens habe ich im Gefängnis verbracht. Grund dafür war das Urteil dieser Frau.« Er zeigte auf Andrea. »Ein Fehlurteil. Und dessen war sich Frau Jordan bewusst. Aber sie hasst Männer. Und war eifersüchtig auf mein Glück. Deshalb trennte sie mich brutal von dem, was mir am meisten bedeutete: meiner Freundin, die ich liebte. Und die mich liebte.« Valentin sank plötzlich in sich zusammen. Schien ganz woanders. »Sie sagte, ich wäre krank. Ich würde meine Freundin verfolgen. Verfolgen!« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie beschützt. Ja! Auch vor sich selbst! Sie tat manchmal Dinge, die sie nicht wollte. Aber die Richterin sagte, ich belästige meine Freundin. Sie hätte Angst vor mir. So ein Blödsinn! Man kann doch seine eigene Freundin nicht belästigen! Und sie hatte niemals Angst vor mir! Ich liebte sie über alles. Nie hätte ich ihr etwas antun können. Das wusste sie genau.«
Andrea hörte Valentin zu. Es war gespenstisch. Er benutzte dieselben Worte wie damals in der Verhandlung. Nichts hatte sich geändert. Valentin lebte nach wie vor in der von ihm zurechtgelegten Welt. Er konnte nicht akzeptieren, dass seine Freundin ihm schlicht und ergreifend den Laufpass gegeben hatte. Etwas, was tausendmal am Tag passierte. Er ignorierte die Tatsache, dass er sie belästigt, gedemütigt und angegriffen hatte, bis sie schließlich in panischer Angst vor seiner Verfolgung lebte und ihn anzeigte.
»Warum musste sich diese Richterin einmischen? Es ging sie überhaupt nichts an, was zwischen mir und meiner Freundin war.« Jetzt sah Valentin auf und zu Andrea. Sein Gesichtsausdruck wechselte von einer Sekunde zur nächsten. Eben noch traurige Verzweiflung, loderte plötzlich Hass in seinen Augen. Er stand auf und ging zurück zum Richterplatz.
»Danke, Herr Zeuge. Frau Jordan, bitte äußern Sie sich dazu.«
Andrea schwieg.
Valentin wartete. »Bitte äußern Sie sich dazu!« wiederholte er.
Einen Teufel werde ich tun , dachte Andrea.
»Vielleicht möchten Sie sich ja wenigstens bei dem Zeugen entschuldigen.«
Einen Augenblick dachte Andrea ernsthaft darüber nach. Vielleicht konnte sie Valentin auf die Art ja beruhigen. Doch dann verwarf sie den Gedanken. Sie würde damit nur seine verdrehte Welt bestätigen.
»Die Angeklagte scheint dem Gericht sehr uneinsichtig«, bemerkte Valentin mit drohendem Unterton. Er machte eine Pause. »Kommen wir zur Urteilsverkündung: Die Angeklagte zeigte sich starrköpfig und ohne Einsicht. Um ihr klarzumachen, was der Verlust eines Menschen, den man liebt, bedeutet, soll sie diesen Verlust selbst erfahren. Die Verhandlung ist geschlossen.« Valentin stand auf und kam zu ihr. Er prüfte den Sitz ihrer Fußfesseln, holte zwei weitere Schnüre hervor und band ihre Hände hinterm Rücken am Stuhl fest.
»Was haben Sie vor?« fragte Andrea.
»Oh. Sie spricht wieder!« Valentin verzog verächtlich den Mund.
Andrea biss sich auf die Lippen.
»Besorgt?« fragte Valentin zynisch.
Das war sie allerdings. Auch wenn sie sich bemühte, es Valentin nicht zu zeigen. »Was immer es ist. Dadurch bekommen Sie ihre Freundin nicht zurück.«
Er blitzte sie wütend an. »Das weiß ich.«
»Was soll das Ganze dann?«
»Hast du denn nicht zugehört?« fauchte er. »Aber du wirst deine Überheblichkeit noch bereuen.« Ein gemeines Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. »Wir alle haben unseren wunden Punkt. Jemanden, den wir lieben. Auch du«, sagte er bedrohlich. »Ich habe das Foto in deiner Wohnung gesehen. Reizend, deine Schwester. Sie ist so lebendig, so sorglos. Wer weiß, wie lange noch?«
Der Schlag traf. Andrea zitterte. Carmen!
Valentin fuhr kalt fort: »Du hast es mir nicht besonders schwer gemacht, sie zu finden. Ich werde jetzt gehen und mich ihrer annehmen.« Er ging tatsächlich. Einfach so. Ohne sich noch einmal nach ihr umzuschauen. Als hätte er sie vergessen.
Andrea blieb, festgebunden auf ihrem Stuhl, zurück. Sie wagte nicht einmal in Gedanken, sich auszumalen, was geschehen würde, wenn Valentin seine Drohung wahrmachte. Ich muss Carmen warnen! Nur wie? Sie saß hier zusammengeschnürt wie ein Paket! Das nächste Telefon unerreichbar. Bis man sie fand, konnte eine Ewigkeit vergehen. Sie musste etwas tun, um sich zu befreien!
Wenn sie
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