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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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nicht mit in etwas hineinziehen, das ihr wichtig war – mehr darüber herauszufinden, was mit ihrem Vater geschehen war. Wer ihn ermordet hatte.
     
    Im Juni, ein paar Tage nachdem sie dem Louis-Vuitton-Mädel nach Solna gefolgt war, rief sie Goran an.
    Sie trafen sich zu Hause bei Natalie. Redeten ein paar Worte im Flur. Goran schlug vor, einen Spaziergang in der Umgebung zu machen. Er beugte sich zu ihr vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Zur Sicherheit.«
    Natalie begriff. Es war besser so. Es gab keinen Grund, ein Risiko einzugehen.
    Sie hängte sich ihre kurze Lederjacke über die Schultern. Sie gingen hinaus.
    Es waren nur wenige Leute unterwegs. Die Ferien hatten noch nicht angefangen, und die Nachbarn waren bei der Arbeit.
    Goran fragte, wie sie sich fühle. Dann meinte er, dass der Tod ihres Vaters völlig unnötig gewesen sei. Er formulierte es irgendwie anders als zuvor. Er benutzte keine derartigen Floskeln wie, dass sich ihr Vater jetzt gemeinsam mit anderen Helden oben im Himmel befände und so weiter. Er nahm das Ganze ernst.
    Sie gingen hinauf in Richtung Wald, wo sie als Kind immer gespielt hatte.
    Natalie liebte diesen Ort. Die Bäume, die Steine und Tannenzapfen gehörten ihr. Es war ihre Welt.
    Sie wandte sich ihm zu. »Goran, ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten.«
    Sie gingen weiter. Goran schob sich eine Portion Kautabak unter die Lippe.
    »Du weißt ja, ich habe die Ordner beiseitegeschafft.«
    Goran popelte sich in der Nase.
    »In einem von ihnen ging es um eine merkwürdige Wohnung.«
    Goran kratzte sich am Ohr.
    Sie fragte: »Interessiert dich das überhaupt?«
    Goran drehte sich zu ihr um. Der Kautabak rann über seine Schneidezähne. »Ich hab es schon einmal gesagt. Du bist seine Tochter. Ich unterstütze dich und helfe dir bei allem, was du tust, das weißt du. Aber du bist diejenige, die die Richtung vorgibt. Nicht ich.«
    Flashback: Gorans Worte auf dem Parkplatz unterhalb des Söder-Krankenhauses nach dem Treffen mit Stefanovic. Er hatte ihr hundertprozentige Loyalität zugesichert. Gelobte ihr, sein Versprechen zu halten.
    Sie redeten weiter.
    Natalie sagte: »Die Bullen machen ihre Arbeit nicht. Ich pfeife eigentlich darauf, wie sie sich mir gegenüber benehmen. Aber sie scheinen keinen Anhaltspunkt im Hinblick auf das zu haben, was man meinem Vater angetan hat. Ich habe vor, mich selbst darum zu kümmern.«
    Sie diskutierten unterschiedliche Strategien, wie es Natalie gelingen könnte, an die Informationen über die Voruntersuchung der Polizei heranzukommen. Die letzte Vernehmung, bei der sie gewesen war, hatte sie aufgezeichnet. Als sie ihm davon erzählte, kam Goran mit dem Vorschlag, von einem Anwalt ein Mahnschreiben aufsetzen zu lassen. Außerdem würde er zusehen, ihr auch in anderer Hinsicht weiterzuhelfen. Er würde das Ganze mit Thomas Andrén besprechen, dem Exbullen, der ihrem Vater immer mal wieder geholfen hatte. Er konnte auch ehemalige Kollegen von ihm ansprechen. An gewissen Fäden ziehen. Sogenannte Gratifikationen anbieten.
    Natalie überlegte: Bislang hatte sie ihm noch nichts von dem Mädel erzählt, das sie verfolgt hatte. Sollte sie so weit gehen? Entweder wusste Goran nichts von der Wohnung, oder keiner wollte, dass ausgerechnet sie davon erfuhr. Dennoch: Sie konnte das Ganze nicht allein wuppen.
    Sie ging aufs Ganze: Begann ihm davon zu berichten, wie sie die Sache mit der Wohnung herausgefunden hatte. Dass sie versucht hatte, die Schlüssel zu finden, es ihr aber nicht gelungen war. Dass sie dort gewesen war. Dass sie ein Mädel in ihrem Alter in die Wohnung hinein- und wieder herausgehen gesehen hatte.
    Dass sie die Braut bis hin zum Råsundaväg beschattet hatte.
    Sie blieben stehen. Auf einem Stein lagen haufenweise Tannenzapfen.
    Natalie sagte: »Ich möchte, dass du herausfindest, wer dieses Mädel ist. Aber du musst ehrlich zu mir sein, auch wenn dabei etwas Peinliches ans Licht kommt.«
    Goran popelte erneut in der Nase. Er hatte einfach keine Manieren.
    »Wenn es peinlich sein sollte, dann ist es eben peinlich. Aber ich will kein böses Wort über die Toten verlieren. Ein Mann ist ein Mann, so einfach ist das. Und ein Mann wie dein Vater brauchte eben gewisse Orte, an denen er ein Mann sein durfte.«
    »Ich höre, was du sagst.«
    »Aber was die Wohnung angeht, kann ich nur sagen, dass ich nichts von ihrer Existenz wusste. Ich habe noch nie davon gehört.«
    Natalie betrachtete Goran. Er war unrasiert. Trug seine gewöhnliche Kleidung.

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