Lass sie bluten
Cherkasova wurde freigesprochen. Sie war im Råsundaväg 31, wo Natalie sie gesehen hatte, nicht gemeldet, sondern unter einer Adresse in Malmö bei einer Frau mit weißrussischem Namen. Aber sie hielt sich so oft unter der Stockholmer Adresse auf, dass es offensichtlich war, dass sie dort lebte. Überwiegend blieb sie zu Hause. Abends fuhr sie manchmal zu diversen Hotels, und ein paarmal sahen sie sie auch zum Einkaufen fahren. Einmal fuhr sie zu einer Villa in Huddinge, und einmal sah Natalie sie mit einer anderen Frau spazieren gehen, die einen Hund hatte. Ihren Beobachtungen zufolge fuhr sie niemals wieder nach Söder zu Radovans Wohnung. Außerdem: Sie bemerkten nie, dass sie sich mit jemandem getroffen hätte, der Zuhälter zu sein schien. Sie konnten auch keine Inserate finden, die sie ins Internet gestellt hätte. Weder Thomas noch seine ehemaligen Bullenkollegen entdeckten in den Registern irgendetwas, was darauf hindeutete, dass Cherkasova Prostituierte wäre. Vielleicht hatte sie auch überhaupt nichts mit dem Mord zu tun. Vielleicht jagten sie lediglich Hirngespinste.
Andererseits: Die Männer, mit denen sie sich traf, waren interessant. Insgesamt kam Thomas auf sechs unterschiedliche in drei verschiedenen Hotels in der Stadt. Sie kamen immer allein. Cherkasova kam ebenfalls immer allein. Einer von ihnen war Brite, über ihn fanden sie allerdings nicht viel; er arbeitete für einen englischen Flugzeughersteller und lebte allein in London. Einer war der Mann aus dem Sheraton, dessen Zimmer Cherkasova fünfmal während des Sommers aufsuchte. Zwei waren jüngere schwedische Männer – sie traf sie drei-, viermal. Die beiden letzten, die wie Inder oder dergleichen aussahen, traf sie jeweils viermal.
Thomas sagte: »Das hier ist nicht wie in irgendeinem verdammten Buch oder Film. Das ist ganz real. Weißt du, was das bedeutet? Dass ich die meiste Zeit am Telefon, in meinem Wagen oder vor einem Computer verbringe. Und ich hasse Computer.«
Natalie mochte Thomas. Sie dachte: Er ist ein ehemaliger Bulle, aber er redet nicht wie ein Bulle. Er redet wie ein Mensch.
Thomas arbeitete sehr überlegt. Wartete vor den Hotels. Folgte den Männern später in der Nacht zurück nach Hause. Sie wohnten über die ganze Stadt verteilt. Er fand ihre Adressen heraus – alle außer der des Mannes aus dem Sheraton, denn er war vorsichtiger. Verließ das Hotel immer durch einen Seitenausgang. Thomas gelang es nicht, ihm auf die Schliche zu kommen. Der jüngere Schwede hieß Mattias Persson, war neunundzwanzig Jahre alt, arbeitete bei einem IT -Unternehmen und wohnte seit vier Jahren mit einem acht Jahre jüngeren Mädel zusammen. Der andere Schwede wohnte in Örebro und war alleinstehend. Der eine Mann mit dem indischen Aussehen hieß Rabindranat Kadur, war neunundvierzig Jahre alt, selbständiger Unternehmer in der Textilbranche und seit zwanzig Jahren mit einer Schwedin verheiratet. Der andere Mann war kein Inder – er kam aus dem Iran, hieß Farzan Habib. Fünfundvierzig Jahre alt, arbeitete als Reiseveranstalter und war seit acht Jahren geschieden. Thomas konnte nichts Suspektes über diese Freier herauszufinden, aber er betonte immer wieder sein Bauchgefühl: Es schrie förmlich danach, dass der Mann aus dem Sheraton interessant für sie war. Der Typ war übervorsichtig.
Ende Juli war Natalie kurz davor aufzugeben.
Eines Morgens hatte Natalies Handy geklingelt. Ein Gespräch über Skype. Es war Thomas.
Ihre Mutter frühstückte gerade in der Küche. Natalie ging in den Garten hinaus. Diese Art von Gesprächen führte sie nie im Haus.
»Hallo, ich bin’s.«
Sein Gesicht zeichnete sich auf dem Display ab. Hinter ihm sein Büro: vollgestopfte Bücherregale, hässliche Tapeten und schlechte Beleuchtung. Er pulte sich beim Sprechen in den Zähnen. Wenn ihr Vater das gesehen hätte, hätte er das Gespräch unmittelbar beendet – nur Fixer oder Obdachlose in den Bars von Belgrad pulten sich in den Zähnen. Leute, die nicht kapierten, wie wichtig es war, Zähne zu putzen, Leute, die noch nie im Leben beim Zahnarzt waren. Für ihren Vater war es ein Statussymbol: gepflegte Zähne waren ebenso wichtig wie ein solider Background.
Thomas sagte: »Ein Durchbruch. Einer meiner Kontakte hat den Sheratonmann auf dem Foto erkannt. Der Mann heißt Bengt Svelander und ist zweiundfünfzig Jahre alt. Er wohnt nicht in Stockholm.«
»Phantastisch. Weißt du noch mehr über ihn?«
»Das ist ja gerade das Interessante.
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