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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Gleichgewichtsstörungen.«
    Mahmud bewegte erneut die Hand. »Sag ihr, sie soll jetzt gehen.«
    Jorge schickte die Krankenschwester hinaus. Er zog sich einen Stuhl ans Bett heran. Setzte sich.
    Mahmud lallte. »Ich dank dem thailändischen König und Gott dafür, dass es hier Morphin gibt.«
    Jorge sah zu ihm hinunter. Immerhin ein schwaches Lächeln.
    »Willst du, dass ich noch irgendwas anderes auftreibe?«
    »Nein. Mein Erinnerungsvermögen erholt sich deutlich besser …«
    Mahmud machte eine Pause. Holte Kraft.
    »… wenn ich nicht so viel Zeug nehme. Aber Kumpel, ich kann mich nicht mal mehr an den Raubüberfall erinnern.«
    Sie schwiegen einige Sekunden lang.
    Mahmud versuchte etwas zu sagen. Wort für Wort. Langsam.
    »Jorge, danke, dass du hergekommen bist.«
    »Ist doch selbstverständlich, Mann, ich tu alles für dich. Ich war schließlich derjenige, der ihnen zugesagt hat, dass wir Geld haben, als sie dich verlegt haben. Dieses Krankenhaus ist privat, musst du wissen. Wenn wir nicht auf einen Teil von Tomteboda hätten zurückgreifen können, hätten wir uns diesen Luxus niemals leisten können.«
    Jetzt war es an Jorge, ein Grinsen zustande zu bringen. Ihre Blicke begegneten sich. Mahmud wirkte unsicher. Vielleicht traurig. Vielleicht hatte er Angst. Der Araber redete wirklich halb so schnell wie sonst. Vielleicht gingen ihm dieselben deprimierenden Gedanken durch den Kopf wie Jorge. Die große Frage: Wie würde das hier verdammt nochmal enden?
    Mahmud sagte: »Schade, dass man kein Neun-bis-Fünfer ist.«
    »Wieso?«
    »Hausratsversicherungen und Reiseversicherungen.«
    »Aha, das stimmt, die haben so was. Aber ich bin noch keinem echten G aus den Hoods begegnet, der ’ne Hausratsversicherung gehabt hätte.«
    Jorge strich sich mit der Hand die Haare aus dem Gesicht. Sah erneut diesen Blick in Mahmuds Augen. Es war wie ein Schlag in die Magengegend. Sein Kumpel, Caféhomie, bester Freund: offenbar schwer angeschlagen.
    Jorge sagte: »Oder doch, kannst du dich noch an meinen Kumpel Eddie erinnern? Er hatte tatsächlich ’ne Hausratversicherung. Dann wurde bei ihm eingebrochen, und sie haben alles geklaut. Seinen neuen Fernseher, über vierhundert DVD s, den Computer, die Brillantohrringe seiner Frau, seine Cartieruhr mit achtzehn Karat und Brillanten neben jeder Ziffer. Und weißt du, was die Versicherung gesagt hat?«
    »Nein.«
    »Tja, sie meinten, dass er mit seinem Gehalt niemals all die Sachen besessen haben könnte. Sie sagten, dass der ganze Scheiß lediglich reiner Betrug wäre. Aber ich weiß, dass er die Sachen besessen hatte, denn ich hab sie hundertmal gesehen, und ich weiß auch, dass es keine geklauten Sachen waren. Es waren durch und durch redlich gekaufte Sachen.«
    Erneut Stille. Jorge hörte Mahmuds Atmung: sein Kumpel röchelte.
    Er sagte: »Wir haben uns aufgeteilt.«
    Mahmud entgegnete nichts.
    »Es hat nicht mehr funktioniert. Es gab ’ne Menge Ärger. Tom wollte wieder nach Bangkok. Und dein Kumpel hat sich zu oft wie ein Stück Scheiße benommen.«
    »Schade.«
    »Jetzt ist es, wie es ist. Ich und Javier sind hier in Phuket. Und du bist bestimmt übermorgen draußen.«
    »Ich hoffe es.«
    Jorge dachte: Zehntausend Baht am Tag, das ist viel Geld.
    Mahmud schloss die Augen. Lehnte den Kopf zurück.
    Jorge saß schweigend da.
    Dachte: Erinnerungslücken. Sehstörungen. Übelkeit. Scheiße – sein bester Homie hatte sich in einen Typen verwandelt, der völlig weggetreten war. Wie sollte es nur weitergehen?
    Jorge versuchte die Stimmung aufzuheitern. »Das wird schon werden. Wir werden hier ’n Lokal klarmachen. Betreiben ein Café wie zu Hause. Setzen uns für ’n Jahr zur Ruhe.«
    Mahmuds Augen waren immer noch geschlossen. »Das wäre schön,
Chabibi

    Jorge musste an die Referendare aus seiner Schulzeit in der Mittelstufe denken. Sie kamen, sie lächelten, sie glaubten daran, etwas verändern zu können. Sie traten auf, als könnten sie ihnen lebenswichtige Dinge beibringen.
    »Ihr seid wichtig, ihr könnt den Beruf ergreifen, der euch gefällt.«
    Nach ein paar Tagen: Sie begannen zu kapieren, wo der Hase langlief – die Kids auf dieser Schule scheißen auf deine Ideen, da wir bereits vierzig andere Referendare gehabt haben, die dasselbe dachten. Sie sahen von Tag zu Tag müder aus, rasteten aus, schrien herum. Als die Woche zu Ende war, nahm man die Panik in ihren Augen wahr. Ihre gebrochene Körpersprache. Sie fingen an zu heulen, rannten aus dem Klassenzimmer,

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