Lass sie bluten
Vater immer ausgeschenkt hatte.
Die Männer sahen ernst aus. Zugleich lag eine erwartungsfrohe Stimmung in der Luft. Natalie glaubte zu wissen, warum. Sie wollten, dass sie das Ganze in die Hand nahm.
Sie musste daran denken, wie ihr Vater ihr vor einigen von ihnen in der Bibliothek Whisky angeboten hatte. Das war sein Zeichen an sie: Natalie hat mein volles Vertrauen – und soll das eure ebenfalls haben.
Sie hatte ihre Mutter angewiesen, sich im Fernsehzimmer oder in der Küche aufzuhalten. Es war ein unangenehmes Gefühl, ihr Anweisungen zu erteilen, besonders vor dem Hintergrund der angespannten Stimmung, die in der letzten Zeit zwischen ihnen herrschte. Doch es gab keine Alternative; sie konnte nicht mitten in ihr Meeting reinplatzen.
Natalie und die Männer unterhielten sich eine Weile, während sie die Getränke ausschenkte. Dann setzte sie sich wieder in den Sessel.
»Ich bin dankbar, und ich bin froh.« Sie sprach Schwedisch, nicht Serbisch. Vor allem, damit Thomas alles verstehen würde, aber auch weil sie ihre eigenen Vorstellungen besaß.
Natalie fuhr fort. »Ihr wisst, dass ich meinen Vater jeden Tag vermisse. Ihr wisst, wie sehr ich um ihn trauere, nachdem das passiert ist. Ihr habt das respektiert. Ihr habt mich unterstützt. Aber ihr wisst auch, dass es Leute gibt, die genau das Gegenteil tun.«
Die vier Männer nickten. Natalie machte eine Pause. Betrachtete sie.
Goran in seiner gewöhnlichen Trainingsanzug-Montur. Den Kopf leicht nach hinten geneigt. Nicht in aufmüpfiger Art und Weise, sondern eher, weil er aufmerksam zuhörte.
Bogdan in einem roten Shirt mit dem Polo-Ralph-Lauren-Mann auf dem Pferd im Riesenformat über der Brust. Bogdans Kopf bewegte sich die ganze Zeit, während Natalie redete; er nickte langsam: akzeptierte, was sie sagte.
Thomas in Hemd und Jeans. Milad trug ebenfalls Jeans und einen Kapuzenpulli mit einem Tribalmuster. Beide hörten zu.
Natalie sagte: »Erstens. Ich habe die Unterlagen der Voruntersuchung von der Polizei bekommen. Die Bullen haben die Splitter des Sprengstoffattentats und die Patronen und dergleichen vom Mordversuch im Parkhaus analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine spezielle Granate, einen speziellen Plastiksprengstoff und Patronen einer speziellen Pistolenmarke handelt. Daraufhin haben wir Gabriel Hanna kontaktiert, ihr wisst ja, wer er ist. Er meint zu wissen, woher die Sachen kommen. Er sieht da eine gewisse Verbindung.«
Sie machte erneut eine Pause. Vergewisserte sich der Aufmerksamkeit der Männer.
»Die Granate, der Plastiksprengstoff und die Waffe kommen nach Hannas Einschätzung aus dem Black & White Inn. Er weiß, dass sie genau diese Art von Granaten in ihrem Lager hatten, dass sie Zugang zu exakt dieser Art von Sprengstoff hatten und am Anfang des Jahres eine Lieferung mit russischen Pistolen bekamen.«
Ein leises Raunen ging durch die Bibliothek. Alle kannten das Black & White Inn. Der Pub war in der Unterwelt eine Institution. Ein Markt für alles Mögliche. Goran hatte Natalie erklärt: Black & White Inn – die beste Shopping-Möglichkeit, wenn man an Selbstverteidigung interessiert war oder jemanden ernsthaft verletzen wollte. Aber der Punkt war nicht, dass sie das Black & White Inn kannten. Es war so, dass der Pub durch andere Unternehmen und Strohmänner zu einundfünfzig Prozent in Radovans Nachlass fiel. Und das Schlimmste: Stefanovic war derjenige, der das Lokal zu Lebzeiten
Kums
verwaltungstechnisch geführt hatte.
Der Zusammenhang: Stefanovic – Black & White Inn – Verkauf von Waffen, die ihren Vater getötet hatten. Der Zusammenhang: Stefanovic versuchte Natalie daran zu hindern, sich mit der Voruntersuchung zu befassen. Der Zusammenhang: Stefanovic wollte das Imperium ihres Vaters übernehmen.
Dennoch: Ein Umstand sprach stark dagegen, dass Stefanovic involviert war – er saß selbst im BMW , als es gekracht hatte. Er hätte selbst ebenso gut dabei draufgehen können.
Wer war also stattdessen involviert?
Natalie unterbreitete ihnen weitere Informationen, die sie in der Voruntersuchung der Polizei gelesen hatte. Dass die Vorgehensweisen sowohl beim Mordversuch als auch beim eigentlichen Attentat auf einen militärischen Hintergrund hinwiesen, auf einen Profi. Dass der Täter eine Granate aus dem ehemaligen Jugoslawien benutzt hatte. Dass Stefanovic bei seiner Vernehmung keinen Deut beitrug.
Die Männer hörten schweigend zu. Die Informationen an sich enthielten keinerlei
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