Lass sie bluten
Hägerström ergab die Jagd einen weiteren Volltreffer. Er und JW hatten in allen Gebieten auf demselben Hochsitz gesessen. JW hatte einen Stutzen der Extraklasse von Hägerströms Bruder geliehen bekommen. Einen Blaser R93 mit Luxusvisier: Swarovski Z6.
JW war im siebten Himmel.
Hägerström merkte ihm an, wie er versuchte, seine Begeisterung zu unterdrücken.
Doch er war noch aufgeregter als damals, als er aus dem Knast entlassen wurde.
Und vor allem: Das hier war JW -Jagdgebiet in geschäftlicher Hinsicht.
Abends fand ein Essen auf Avesjö statt. Mit Hägerström, Carl, JW und weiteren neun Freunden von Carl. Hägerström kannte die meisten von früher. Carl lebte nach dem Prinzip, dass neue Freunde keine Freunde sind. Fredric Adlercreutz war natürlich da. Er benahm sich gegenüber Hägerström wie immer. Vielleicht, dachte Hägerström, war er auch schwul.
Drei Gesichter allerdings waren für Hägerström neu. Geschäftskollegen von Carl, das war eine Ausnahme von seiner Regel.
Es war das erste Mal, dass Hägerström einen Freund mitgebracht hatte. JW war mehr als zehn Jahre jünger als er, aber da Carl ein paar Jahre jünger war als Hägerström, war der Altersunterschied zwischen ihnen unbedeutend.
Angestelltes Personal bereitete das Essen zu. Die Hundeführer fuhren nach Hause. Das Abendessen kam auf den Tisch. Die Vorspeise bestand aus rohen Krabben mit Crème fraîche und Kaviar.
Um den Tisch waren ausnahmslos Herren versammelt. Carls Freunde. Alle waren Anwälte, Banker, Immobilienmakler.
Alle hatten dieselbe Wahl im Leben getroffen: Die Karriere stand an erster Stelle.
Alle besaßen denselben familiären Hintergrund.
Alle besaßen entweder ein großes Erbe oder hatten Ehefrauen, die ein noch größeres Erbe einbrachten.
Hägerström beobachtete JW .
Die anderen trugen Jeans und Hemd, manche ein Sakko. Loafers oder braune Segelschuhe an den Füßen. Alle waren gut gekleidet, aber leger. Diese Jungs waren vor zehn Jahren die absoluten Snobs gewesen, sie brauchten sich also gegenseitig nichts mehr zu beweisen. Sie waren inzwischen erwachsen.
JW hingegen trug rote Baumwollhosen mit messerscharfen Bügelfalten und ein weißes Hemd mit dunkelblauem Blazer. Seine Berluti-Schuhe waren extra aus Paris eingeflogen. Er toppte das Ganze mit Tre-Kronor-Manschettenknöpfen aus Gold mit rotem Hintergrund.
Vielleicht waren es äußerliche Details. Der Auftritt an sich war ja im Grunde derselbe. Aber Hägerström fiel es auf. Und er wusste, dass es Carl ebenso auffiel. JW war schlicht und einfach overdressed. Er fragte sich, ob JW selbst der Unterschied auffiel.
Die anderen trugen ordentliche Haarschnitte, doch ihre Frisuren waren nach einem ganzen Tag unter einer Jagdkappe auf einem Elchhochsitz etwas durcheinandergeraten.
JW hingegen war offenbar im Bad gewesen und hatte sich frisiert. Seine nach hinten gegelten Haare lagen wie ein Helm auf seinem Kopf.
Sie saßen auf restaurierten Rokokostühlen mit Zebrafell. Carls Frau hatte einen Blick für Inneneinrichtungen. Auf dem Tisch lag eine weiße Tischdecke. Oberhalb der Teller standen drei verschiedene Kristallgläser aus Orrefors, die Hägerström wiedererkannte. Sie waren sein und Tin-Tins Hochzeitsgeschenk an Carl, als er vor sechs Jahren geheiratet hatte. Silberbesteck, Teller und Servietten, die Carls Frau von ihrer Großmutter geerbt hatte, mit dem in zierlichen Stichen bestickten Wappen des Geschlechts der Fogelklou. Auf dem Tisch standen riesige Kandelaber mit Kerzen. Hägerström erkannte sie ebenfalls wieder. Sie kamen von seiner Großmutter, der Gräfin Cronhielm af Hakunge.
JW ’s Augen waren so groß wie die Vorspeisenteller.
Hägerström fand, dass der Junge noch lernen musste, sich etwas cooler zu geben.
Carl hieß alle willkommen. »Ich möchte, dass wir unsere Gläser auf die erfolgreiche Jagd heute erheben. Auch wenn es mir dieses Jahr nicht vergönnt war, etwas zu erlegen. Ha, ha.«
Alle erhoben ihr Glas und nippten an dem Wein zur Vorspeise: Chablis Cuvée Tour du Roy Vielles Vignes.
Hägerström studierte weiterhin JW ’s Verhalten.
Er suchte nach dem passenden Besteck. Schielte zur Seite, um zu sehen, welcher Teller sein Brotteller war. Wischte sich zu oft mit der Stoffserviette den Mund ab.
Hugo Murray, der auf der anderen Seite von JW saß, erhob sein Glas in Richtung Hägerström.
»Prost, Martin. Du warst ja verdammt nochmal der Einzige, der heute etwas Ordentliches erlegt hat.«
Martin erhob ebenfalls sein Glas. Sah
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