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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Hartplastikschicht. Hier sollten offenbar Dachfenster eingesetzt werden.
    Er durchbohrte sie mit dem Schraubenzieher. Die Leiter schwankte. Er brach sie auf. Zog am Plastik. Riss kleine Nägel und Klebeband ab.
    Er hörte hallende Schreie von unten aus dem Treppenhaus. Sie waren auf dem Weg nach oben.
    Endlich fand er Halt mit den Fingern. Das Hartplastik schnitt ihm in die Handflächen. Er schiss drauf. Er benutzte beide Hände. Hängte sich dran. Es bog sich jetzt nach innen. Er kletterte eine weitere Sprosse hoch.
    Spürte, wie ihm die kühle Nachtluft entgegenschlug. Er nahm seinen Rucksack ab.
    Die Leiter schwankte.
    Er war kurz davor, den Halt zu verlieren.
    Es gelang ihm, genügend Plastik zur Seite zu schieben, um sich hochzuhieven. Den Rucksack hinauszubefördern.
    Inzwischen hatte er sich mit beiden Unterarmen auf das Dach gestützt. Er stand auf Zehenspitzen auf der Leiter.
    Er kam mit dem Oberkörper hoch. Schnitt sich an mehreren kleinen Nägeln, die noch in der Plastikschicht hingen.
    Das Hartplastik schabte ihm am Rücken. Er stieß die Leiter weg.
    Hangelte sich mit dem restlichen Körper hoch. Es hatte erneut angefangen zu regnen.
    Auf dem Dach war es wahrscheinlich höllisch glatt.
    Er ging in die Hocke. Tastete sich rutschend voran. Versuchte auf die Straße hinunterzuschauen. Das war nicht nötig: Das Blaulicht färbte die Hauswände bis hier oben hin blau.
    Die Ärsche da unten konnten so viele Bullen mobilisieren, wie sie wollten – der Ausreißer war unterwegs.
    Er erreichte das Ende des Hauses. Das nächste Haus: niedriger. Das Dach: vier Meter weiter unten.
    Er sprang. Flog.
    Als schwebte er durch die Luft. Eiskalte Tropfen stachen kleine Löcher in seine Gesichtshaut. Er sah alles in Slow Motion. Er sah sich selbst fallen. Er sah, wie sein Fuß im Gras außerhalb der Mauer umknickte. Er sah, wie er von der Anstalt in Österåker aus in die Freiheit rannte. Mit Schmerzen im Knöchel, die bis ins Bein hinauf ausstrahlten. Die jeden Schritt erschwerten.
    Es durfte nicht noch einmal passieren. Er landete.
    Stützte sich mit beiden Händen und Füßen ab. Wie eine Katze.
    Wie Spiderman.
    Er rannte weiter. Dieses Dach war besser, flacher, bestand überwiegend aus Beton – war nicht so rutschig.
    Er erhöhte die Geschwindigkeit.
    Sein Rücken war völlig durchnässt. Der Rucksack hüpfte auf seinem Rücken auf und ab. Kam es vom Regen, oder war es Schweiß? Mitten in der Hetzerei kam ihm der Gedanke an seinen Schweiß. Sein Geruch jetzt: scharf, stark, gestresst.
    Weiter über das nächste Dach.
    Er feuerte sich selbst an.
    Niemals langsamer werden, J-Boy – niemals langsamer werden. Das Leben gehört dir, du musst dich nur bedienen.
    In einiger Entfernung sah er das Ende des Häuserblocks. Bis zum nächsten Haus zu springen: unmöglich. Mindestens fünfzehn Meter. Er musste irgendwie wieder runter.
    Er sah sich um. Tastete sich bis zur Kante des Dachs vor. Mit den Füßen voran. Hatte eine Scheißangst auszurutschen.
    Er setzte einen Fuß auf die Dachrinne. Belastete ihn. Sie schien stabil zu sein.
    Er setzte den anderen Fuß darauf. Beugte den Oberkörper hinunter. Versuchte, sich mit einer Hand am Dach festzuhalten.
    Schob den Kopf vor. Linste über die Dachkante. Shit – es waren bestimmt zwanzig Meter bis nach unten. Ihm wurde total schwindelig.
    Dann blickte er erneut nach unten: direkt unter ihm, ein Balkon.
    Es gab einen Gott.
     
    Jorge öffnete die Augen. Die Bilder verschwanden. Vor neunundzwanzig Stunden war er dem Bullenangriff entflohen.
    Er hatte vorsichtig das Fenster neben der Balkontür geknackt. Die Tür geöffnet. War durch die Wohnung geschlichen. Vielleicht schlief dort jemand. Die Wohnungstür musste er lediglich von innen öffnen. Er ging leise die Treppen hinunter. Unten gab es zwei Türen. Eine führte zum Hauseingang, die andere zum Innenhof. Er nahm Letztere. Sprang über diverse Zäune in andere Innenhöfe. Kam auf der anderen Seite des Viertels wieder heraus.
    Die Straße davor war absolut tot.
     
    Er verbrachte die Nacht und den kommenden Tag draußen. Schlenderte durch die Västermalmsgalerie. Klaute im ICA Supermarkt Schokoladenkekse und kaufte sich eine Prepaidkarte. Überlegte, wen er sich trauen konnte anzurufen.
    Entschied sich für einen Klassiker von früher: kaufte die Personalien eines Fixers am Fridhemsplan für tausend Kröten. Die Nachtherberge stellte dem Sozialarbeiter des Fixers die Kosten in Rechnung. Der Typ verlor seine Beiträge – war

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