Lass sie bluten
Richter schob Tomic zur Seite, der schließlich aufstand.
Alle warteten.
Yunis bewegte sich nicht.
Natalie wurde von einem Glücksgefühl erfasst. Sie stand auf. Ballte die Faust. »Yes!«
Der Schwede lag immer noch am Boden. Der Richter begann zu zählen.
»Eins.«
»Zwei.«
»Drei.«
Die Sanitäter liefen in den Ring hinauf. Natalie setzte sich wieder.
Ihr Vater stand immer noch. Er rief: »
Ostani
. Bleib, wo du bist. Bleib liegen. Steh nicht auf,
pičko
, du Idiot.«
»Vier.«
»Fünf.«
»Sechs.«
Die Arena war in Aufruhr. Lebte der Schwede überhaupt noch? Die Ersthelfer beugten sich zu ihm runter, riefen ihm etwas ins Ohr.
»Sieben.«
»Acht.«
Yunis bewegte sich auf der Matte. Rang nach Luft.
Der Richter hatte jetzt neun Finger in der Luft.
»Neun.«
Das war das Schlusssignal.
Auf dem Weg nach draußen ging Goran voran. Teilte die Menschenmenge, wie Stefanovic es auf dem Weg nach drinnen getan hatte. Ungefähr wie ein Präsident mit seinen Leibwächtern – alle Fans und Fotografen wichen zur Seite. Obwohl es jetzt nicht mehr so einfach war wie vorhin, als sie kamen. Die Leute drängten von hinten nach. Stefanovic ging schräg hinter ihr und Papa und sorgte dafür, dass sie mehr Platz bekamen. Dahinter ging Milorad.
Sie war super drauf. Hatte gute Laune. Lazar Tomic – ein Held. Extreme Affliction Heroes waren ein Erfolg. Sie unterhielten sich über das Match, lachten und wiederholten ein ums andere Mal: Tomics Oberschenkelmuskeln, Yunis’ blau und lila angelaufene Visage.
Es war ein guter Tag. Sie hatten vor, alle zusammen zu Clara’s Kök & Bar zu gehen und dort zu essen. Und dennoch war Natalie irgendwie mulmig zumute. Sie verspürte ein Gefühl von Unlust im Magen. Keine Regelbeschwerden – es war etwas anderes. Eine gewisse Unruhe.
Sie gelangten hinunter ins Parkhaus. Die Leute strömten aus den Aufzügen. Die Autos standen bereits Schlange auf dem Weg hinaus in die Stockholmer Nacht.
Natalie sollte mit Stefanovic fahren. Papa würde mit Goran und Milorad fahren. Etwas entfernt sah sie seinen Lexus stehen. Er drehte sich um, um sie zu umarmen und ihr zu sagen: »Wir sehen uns gleich.« Um sie auf die Stirn zu küssen, wie er es immer tat.
In dem Moment hörte sie ein Geräusch.
Es knallte. Laute Detonationen.
Wie ein Feuerwerk.
Natalie sah Papa vor sich. Seine Bewegungen waren plötzlich abgehackt. Als nähme sie das Geschehen Bild für Bild in einer Art Videobearbeitungsprogramm wahr. Als sähe sie sich die einzelnen Sequenzen eines Zeichentrickfilms an. Kleine Veränderungen wie ruckartige Sprünge in der Bildabfolge. Sie sah alles: die Nuancen in der Gestik der Leute, ihre Mienen, wie sie die Luft anhielten.
Ein weiterer Knall hallte im Parkhaus wider.
Und noch einer.
Die Bewegungen um sie herum erstarrten.
Papa schrie: »Ich bin getroffen worden.«
Dann ging alles ganz schnell. Stefanovic warf sich über ihn. Riss Papa zu Boden. Im nächsten Augenblick lag sie selbst unter Goran. Sie sah Milorad mit einer Pistole herumfuchteln, während er den Leuten zubrüllte, in Deckung zu gehen.
Alle schrien.
Sie spürte, wie Goran sie wegzog. Das Parkhaus wirkte plötzlich so klein.
Sie sah Papa unter Stefanovic liegen.
Sie sah, wie sich eine Blutlache ausbreitete.
Sie sah seine Hand unbeweglich auf dem Betonboden liegen.
Nein.
NEIN .
7
Die erste richtige Rekrutierung – Tom Lehtimäki sagte natürlich zu. Der Typ war smart. Zwei, drei Mille bar auf die Kralle, oder wie groß sein Anteil dann sein würde, DIT – Direkt In die Tasche. So viel konnte selbst er in so kurzer Zeit nicht auftreiben, wie viele Finanztricks er auch immer auf Lager haben mochte.
In den Tagen danach redete Jorge der Reihe nach mit Sergio, Robert Progat und Javier.
Alle vertraten dieselbe Einstellung: Jorge Bernadotte, der King: Du bist unser Jesus. Na klar wollen wir dabei sein.
NA KLAR .
Die Liga nahm Form an. Die Gruppe wuchs. Das Team bildete sich.
Heat, Reservoir Dogs, Ocean’s Eleven – jetzt ging’s richtig zur Sache.
Zugleich: Stockholm wurde gerade von DER NACHRICHT des Jahrzehnts heimgesucht.
Von der Neuigkeit des Jahrhunderts. Dem fucking Höhepunkt des Jahrtausends – jemand hatte versucht, Radovan zu killen. Der Jugoboss in Jorges Augen: Sein Hass war so groß, dass er ihn regelrecht aufzehrte. Er hatte die Interessen des Herrn R. schon zuvor unterlaufen: der Schlag gegen Smådalarö, die Schüsse im Bordell in Hallonbergen. Und in der Traumwelt: immer
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