Lasse
Kindertheatergruppe in München vor fünf Jahren. Sonst keine Spur von ihr und ich musste ernsthaft den Impuls unterdrücken, mir das Bild der etwa zehnjährigen Waldfee, unter der ihr Name stand, herunterzuladen. Das war verrückt.
»Ole kommt übermorgen und er bringt eine Freundin mit«, sagte meine Mutter, als ich zurück in die Küche kam.
»Freundin?«
»Ja, das sagte er. Ich bin mir nicht sicher, ob sie ein eigenes Zimmer braucht.«
»Wohl eher nicht.«
Sie warf mir einen strafenden Blick zu.
»Und? Was machst das Filmgeschäft?«, fragte mein Onkel.
Sein Deutsch war gut, wesentlich besser, als mein Schwedisch. Ich zuckte mit den Achseln. Es war seltsam, zwischen den Drehs hatte ich immer das Gefühl, meine Identität als Schauspieler zu verlieren und jetzt, wo mir gerade ein Projekt abgesagt worden war, war es noch schlimmer.
»Gehst du mit Holz holen?«, fragte Sven, »dann können wir den Kamin anmachen.«
Ich folgte ihm nach draußen zu einem großen Holzvorrat neben dem Haus. Er nahm einen der Scheite, stellt ihn auf einen Holzblock, in dem eine scharfe, kleine Axt steckte, und begann ihn schnell und sicher zu spalten. Ich sah ihm zu, hob die Holzscheite auf und legte sie in einen Korb. Als der Korb voll war, wollte ich ihn ins Haus tragen, aber Sven ging ein Stück weiter und sah in den Himmel. Es dämmerte. Ich stellte mich neben ihn und folgte seinem Blick. Vielleicht würde er mir den Sternenhimmel erklären, wie er es früher immer getan hatte, aber er schwieg und wir standen eine Weile nebeneinander. In Schweden kam mir immer alles klarer, weiter und größer vor. Die Natur bestimmet das Leben. Ich sah den Mond und erinnerte mich an den Blick aus Noras Schlafzimmer in den Nachthimmel. Auch da war es klar gewesen und es galt noch immer. Ich musste etwas ändern. Mich , genauer gesagt.
Sven räusperte sich. »Weiß sie von den Fotos?«
Es war klar, wen er mit sie meinte, aber ich hatte keine Ahnung, von welchen Fotos er sprach.
»Die von Ole?«
Er sah mich an und blinzelte. »Ach, es gibt auch welche von Ole?«
Er holte sein Smartphone aus der Tasche und hielt mir das Display hin. Ich, barfuß und mit nacktem Oberkörper, auf Noras Party.
Sind beide Paulsen-Brüder nun in Schwierigkeiten? , stand darüber. Auf Schwedisch, aber so viel verstand ich.
»Braucht ihr einen Anwalt? Oder zwei?«
Er hatte einen sehr trockenen Humor.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß, was ich machen muss. Oder besser lassen.«
»Ja, Lasse, dann lass das.« Er lachte über das deutsche Wortspiel.
Drinnen saß meine Mutter vor dem Kamin und starrte auf die kalte, dunkle Öffnung. Sven stapelte Papier und Holz in die Feuerstelle, ich setzte mich zu ihr.
»Wann kommt Papa?«
»Nächstes Wochenende.«
Ich räusperte mich. »Ich sag's dir lieber gleich. Also, es gibt da Fotos von mir im Netz von der Party bei Nora ...«
Sie sah mich an und lächelte müde. »Ich weiß. Ich habe es vorhin gesehen. Hast du Oles Anzug retten können?«
»Ja.«
»Und das Mädchen? War sie auch halbnackt?«
»Wir waren im Pool. Es war eine Wette. Es ...«
»Schon klar«, sagte meine Mutter, die die Details besser nicht hören wollte. »Ist ... etwas passiert?«
»Nein. Natürlich nicht. Aber ihr Vater glaubt das anscheinend. Er meinte, er würde mich verklagen, wenn ich mit ihr Kontakt aufnehme.«
»Oh.«
Das Feuer brannte, ich sah den Lichtschein auf ihrem Gesicht, die Erschöpfung.
»Tja«, sagte Seven energisch. »Da nun alles ausgesprochen ist, wie wäre es mit einem Wein?«
Meine Mutter nickte, aber ich schüttelte den Kopf.
8 Ich wachte früh auf , obwohl ich sogar schon angekündigt hatte, dass ich bis zum Mittag schlafen wollte.
In der Küche stand mein Onkel und kochte Kaffee. Er sah mich überrascht an.
»Was machst du denn schon hier?«
»Konnte nicht mehr schlafen.«
Er hielt mir einen Becher mit dampfendem Kaffee hin.
»Was essen? Ich habe Glasmästersill und Sillsallad .«
Ich schüttelte den Kopf. Sonst gerne, aber gerade war der Gedanke an Hering unerträglich.
»Hast du Kanelbullar ?«
Er nickte und reichte mir eine Tüte. Natürlich, Zimtschnecken gehörten in jeden schwedischen Haushalt.
»Geht es euch gut? Alles in Ordnung bei euch in Hamburg?«, fragte Sven freundlich.
»Ja.«
Ich wusste, was er meinte. Ob meine Eltern sich vielleicht scheiden ließen, ob meine Mutter vorhatte, wieder nach Schweden zu kommen, ob es okay für sie war, dass wir ausgezogen waren. All das. Ich
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