Lasse
windig.
Ich wollte schon immer ein Motorrad haben. Ich hatte gleich nach dem Abitur den Motorradführerschein gemacht, aber es hatte nie wirklich Sinn gemacht, mir eine Maschine zu kaufen. Jeder Filmvertrag schloss das Fahren eines Motorrades aus. Zu viel Risiko für die Versicherung. Und ich hatte auch nie Zeit gehabt, mir ein Motorrad anzuschaffen. Ein paar Mal hatte ich mir Gerions Harley geliehen, aber es war etwas ganz anderes, eine eigene Maschine zu besitzen. Man konnte es mit einem eigenen Pferd vergleichen. Und nun war ich ein einsamer Cowboy und brauchte ein eigenes Pferd. Nach einem Winter der Einkehr und der Entsagung, wie ich die Zeit für mich selber nannte, konnte ich es kaum erwarten, dass es etwas wärmer wurde und vor allem der Schnee schmolz, damit ich endlich fahren konnte. Ich hatte eine gebrauchte Honda Transalp von einem Typen gekauft, der gerade geheiratet hatte und sein erstes Kind erwartete. Er hatte mir seine gesamte Ausrüstung, Kleidung, zwei Seitenkoffer und den Helm überlassen, als wollte er sein Leben als Motorradfahrer so schnell wie möglich hinter sich lassen. Für mich war es perfekt.
Mein Handy klingelte. Meine Mutter. In der letzten Zeit hatte sie fast immer aus privaten Gründen angerufen, der Konflikt zwischen Ole und Gerion nahm sie mit und mit mir konnte sie darüber sprechen. Gerion hatte Strafantrag gestellt. Irgendwann im Mai sollte es zur Verhandlung kommen und ich war als Zeuge geladen, aber darüber machte ich mir vorerst keine Gedanken.
»Hej, wie geht's?«
»Gut. Ich habe eine Anfrage für dich.«
Ich hatte den Winter über nur wenig gearbeitet, zwei Tage bei der Hafenkante einen Fischer gespielt, drei Tage beim Polizeiruf einen Drogenabhängigen, hatte viele Rollen abgelehnt, die mir zu anspruchslos waren und war zu einigen Castings gegangen, ohne eine Rolle zu bekommen. Es lag vermutlich auch daran, dass ich weniger drehen wollte. Jedenfalls nicht so viel wie vorher.
»Und, was ist es? Amerika? Spielberg?«
Sie lachte. »Na, fast. Ein kleines Independent-Projekt. Der Regisseur will dich unbedingt besetzen. Ich wollte das abwiegeln, aber dann fiel mir das Zombie-Projekt wieder ein. Du wolltest doch mehr solche Sachen machen, oder?«
Ich war mir nicht sicher. Die kleinen Schauspieljobs bei der Hafenkante oder dem Polizeiruf waren mir ohne Casting angeboten worden und besserten mein Konto etwas auf, den Rest der Zeit beschäftigte ich mich damit, mich zu fragen, was in den letzten Monaten oder vielleicht sogar Jahren falsch gelaufen war und was ich ändern wollte. Konnte mir irgendein Independent-Projekt dabei helfen?
»Um was geht es denn?«
»Eine Geschichte über Heimkinder, die ausbrechen und sich durchschlagen.«
Das klang interessant. Mal was anderes.
»Und meine Rolle?«
»Die Hauptrolle, sie würden dir das Drehbuch schicken, dann kannst du sehen, ob es dir gefällt.«
»Okay ...«
»Aber Lasse?«
»Ja?«
»Krista spielt mit. Auch eine Hauptrolle.«
»Oh, ... woher weißt du das?«
»Nun der Regisseur dachte, es könnte dich interessieren oder motivieren. Ich meine, sie ist eine gute Schauspielerin. Die meisten anderen Rollen sollen mit begabten Laien besetzt werden, er will die Mischung.«
Ich schwieg. Ich hatte mich noch nicht bei Krista gemeldet. Irgendwie stand es auf der Liste, aber da sie nicht mehr versucht hatte, mich zu erreichen, war es vielleicht auch überflüssig. Jetzt mit ihr womöglich über Wochen zu spielen, fühlte sich nicht sehr gut an.
»Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, mit Krista zu drehen. Aber sag das der Produktion nicht. Sag, ich habe keine Zeit, irgendwas, okay?«
Sie seufzte. »Klär' das doch einfach.«
»Es ist nicht nur das. Ich brauche die Zeit für mich.«
»Also kein Drehbuch?«
»Nein.«
Ein Dreh mit Krista war genau das, was ich nicht wollte. Ich wollte mich ändern, statt in die alten Muster zurückzufallen. Ein paar Dinge hatte ich geändert. Kein Alkohol mehr, keine Joints mehr, ich hatte sogar aufgehört, Fleisch zu essen. Ich joggte täglich durch den Stadtpark und ging zweimal die Woche ins Fitnesscenter. Und ich hielt mich von Ole fern. Ich wusste, dass er für meinen Versuch, ein neues Leben zu beginnen, nur Verachtung übrig hatte. Ich sah auch Gerion nicht, aber hauptsächlich, weil er mich nicht sehen wollte und ich das respektierte. Außerdem wollte ich in dem Streit mit Ole keine Partei ergreifen. Meine größte Leistung aber war, dass ich nach der Filmpremiere in
Weitere Kostenlose Bücher