Lasse
Sachen einzupacken. Am liebsten hätte ich mit jemanden über all das gesprochen. Normalerweise wäre das Gerion gewesen. Mir fehlte unsere Freundschaft, mir fehlten die Gespräche mit ihm, mir fehlte jemand, der mich so akzeptierte, wie ich war.
Da ich noch zwei Stunden hatte, bevor mein Zug nach Leipzig ging, legte ich mich aufs Bett und versuchte mich auszuruhen. Das hatte schon die letzten Tage nie geklappt und auch diesmal starrte ich nur mit offenen Augen an die Zimmerdecke. Wie immer dachte ich sofort an Moon. Auf dem Balkon war etwas passiert. Egal, ob sie mit Karl zusammen war, oder nicht, da war etwas zwischen uns. Nicht nur, dass Moon mit mir flirtete. Es gab auch diese Anziehungskraft zwischen uns, etwas, das von Anfang an dagewesen war und immer stärker wurde. Stärker, als die Gefühle, die sie Karl gegenüber hatte. Da war ich mir sicher.
Ich stieg gerade in den Zug, als meine Mutter mich immer noch mit leicht aufgeregter und schriller Stimme anrief.
»Sie haben ihn freigesprochen.«
»Wieso?«, rutschte es mir heraus. Ole war eindeutig schuldig.
»Gerion hat seine Aussage fast zurückgenommen, die anderen Zeugen konnten nicht viel beitragen. Obwohl die Presse es so darstellt, als ob er Bewährung bekommen hätte. Nur weil das der Strafantrag war.« Sie klang trotzdem erleichtert
»Und Gerion?«
»Er war dann sofort weg. Ich werde ihn noch anrufen. Ihr seht euch ja demnächst beim Dreh ...«
Wir beendeten das Gespräch und ich suchte mir einen Platz.
Der Zug war voll. Ich setzte mir schnell Kopfhörer auf und nahm mein iPad heraus. Ich wollte allein sein oder zumindest so tun, als ob ich allein wäre. Ich hatte es die ganze Zeit verdrängt, aber natürlich würde ich Gerion am Set treffen. Nicht nur treffen, wir hatten eine gemeinsame Szene und dafür war sogar ein Stunttraining angesetzt. Gerion und ich hatten schon zweimal zusammen in einem Film gespielt, einmal als Kinder und später noch einmal kurz. Diesmal mussten wir uns schlagen. In einer aggressiven Szene am Ende des Films. Gerion spielte einen Typen, der Ida vergewaltigen wollte und Jack würde ihn niederschlagen. Totschlagen. Nicht gerade die Szene, die ich mir gerade mit Gerion wünschte. Aber die Szene war gut. Das musste man Paul Parker lassen, er war ein sehr guter Drehbuchautor. Ich öffnete das Mailprogramm und sah mir die Dispo an, die gerade gekommen war. Als nächstes würden wir die Szene nach der Flucht drehen. Es war ungewöhnlich, dass ein Film chronologisch abgedreht wurde, meist wurden die Szenen durcheinander gedreht. Ich erinnerte mich an den Dreh mit Krista. Schon am zweiten Drehtage hatten wir eine Liebesszene zusammen gehabt, die eigentlich am Ende des Drehbuchs stand und damit auch am Ende des Film lag. Und wir wären vermutlich nie ein Paar geworden, wenn wir uns nicht schon so früh am Set geküsst hätten. Morgen würde Krista Karl küssen, in einer Szene, wo wir alle in einer kleine Scheune übernachteten. Ich wusste, wie Krista küsste. Beim Spiel, in der Szene oder wenn wir allein im Hotelzimmer oder sonst wo waren. Sie würde sich nicht zurückhalten. Wie würde Moon damit umgehen? Wenn Karl wirklich nur ein Freund war und kein Lover, dann war es ihr vielleicht egal.
Ich scrollte weiter durch die PDF. Am Vormittag sollten auch die Fotos für das offizielle Filmplakat gemacht werden. Insgesamt ein großes Pensum, der Drehtag war für alle lang. Ich sah, dass als Aufenthalt drei Wohnwagen am Set vorgesehen waren. Einer für die Mädchen, einer für die Jungs und einer für mich. Das war eigentlich eine Auszeichnung, ein eigener Wohnwagen für mich, den » Star «, aber natürlich bedeutete es auch, dass die anderen wieder eine Gruppe bildeten und ich für mich blieb. Ich scrollte noch weiter herunter, sah mir die Anreisen an, die am Ende der Dispo vermerkt waren und war plötzlich hellwach. Gerions Name stand da, obwohl er nicht drehte. Mit ihm war eine Kostümprobe angesetzt. Und eigentlich war das gut, so konnte ich ihn vor unserem Drehtag noch sprechen und ein paar Dinge klären.
Peer holte mich am Bahnhof ab. Er wollte mir das Pfandgeld für Bier und Cola zurückgeben, aber ich lehnte ab und bedankte mich für seine Hilfe bei der Pizzaklappe.
Es war schon dunkel, als wir auf den Hof des Kinderheims fuhren und nur noch in wenigen Zimmern brannte Licht. Am liebsten wäre ich zu Moon aufs Zimmer gegangen und hätte gleich mit ihr geredet. Morgen würden wir keine Minute für uns haben. Aber konnte ich
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