Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
sie drei schmale Sträßchen, in denen die wohl prächtigsten Gründerzeithäuser stehen, die der einstige Arbeiterbezirk vorzuweisen hat. Im Herbst 1989 liefen hier alle Fäden der kirchlichen Opposition zusammen. Und nachdem die Polizei am Abend des vierzigsten DDR -Republikgeburtstages rund um die Kirche eine Menschenhatz veranstaltet hatte, brannte auf den Kirchenstufen wochenlang ein Kerzenmeer.
Lange ist das her. Damals wie heute ist der Platz um die Kirche eine der beliebtesten Wohnlagen der Stadt. Frei ist und wird hier nichts, wer in dem baumbestandenen Rondell eine Wohnung ergattert hat, der will bleiben – selbst wenn der Lärm der Kirchglocken einem fast den Boden unter den Füßen wegzieht oder nächtliche Parkplatzsucher stundenlang vergeblich ums Karree kreisen. Nicht einmal dann zieht jemand weg, wenn von dem kleinen Spielplatz ganz hinten, da, wo der Gethsemaneplatz am engsten und am schattigsten ist, den ganzen Tag der Kinderlärm schallt.
Die drei von der Bürgerinitiative lesen die teilweise sehr rüden Rückmeldungen ihrer Nachbarn und können es nicht verstehen. Sie haben den Fragebogen doch ganz nett formuliert – und jetzt so etwas! Was, bitte, soll denn so schlimm daran sein, den Verkehr um den Kirchplatz stillzulegen und die Spielzone für Kinder zu erweitern? Ihre Argumentation für die Stadtoase ist doch einleuchtend, nicht wahr? Sie wollen »nutzungsoffene Freiflächen und Bewegungsräume«, eine »Begegnungszone« für alle, in die die Leute ihre Liegestühle raustragen und einander kennenlernen können. »Kinder wollen nicht immer auf vorgegebenen Spielplätzen spielen«, haben sie an ihre Nachbarn geschrieben. »Und wo können sich Menschen jeden Alters noch ohne Konsumzwang auf eine Bank setzen?«
Dieser letzte Satz allerdings lässt Schlimmes ahnen. Wäre ich Anwohnerin des Platzes, sähe ich sie alle schon vor mir: die Selbtsversorger-Mütter, die mitten auf der dann autofreien Fahrbahn die Batikdecken fürs Picknick ausbreiten, die dort stillen und ihre Babys wickeln, die aktuelle Nido lesen, übers iPad eine Wagenladung frische Baumwollwindeln ordern und anschließend vielleicht zusammen auf dem umgewidmeten Parkstreifen eine Runde Beckenbodengymnastik absolvieren. Das alles zum ganz kleinen Preis – schließlich wird ja alles, der Caro-Kaffee, die Haferplätzchen und die laktosefreie Milch – selbst mitgebracht. Und wer wirklich was zu essen braucht, bestellt den Lieferdienst.
Wird es Abend, raffen sie ihre Decken und Bobbycars zusammen und gehen alle hoch in ihre Wohnungen. Dann kommen die Ein-Euro-Jobber und räumen den liegen gebliebenen Müll auf. Die Putzleute können anschließend auch gleich die Hundehalter fernhalten, nachts knutschende Paare und betrunkene Touristen vertreiben und am nächsten Morgen das Ordnungsamt rufen, wenn der einzige Rentner am Platz regelwidrig seinen Rollator im Kinderwagenraum geparkt hat.
Die drei von der Bürgerinitiative kommen aus Baden-Württemberg, sie wollen den Prenzlauer Berg doch lediglich zu einem lebenswerteren Ort für sich machen. Kurz: Nicht sie verändern sich, sondern sie verändern die anderen. Bis es passt. In seiner Heimatstadt, erzählt der Mann nun, habe man durchgesetzt, dass einige Straßen tagsüber spielenden Kindern, Rentnern und Radfahrern gehören. Erst abends dürften dann auch die Autos kommen und dort parken. Es habe ein bisschen gedauert mit der Akzeptanz, sagt er, aber die Stadtverwaltung habe so lange gnadenlos abschleppen lassen, bis es auch der letzte Autofahrer kapiert hatte. So müsste man das hier dann auch machen. Aber – jetzt mischt sich auch eine der Frauen ein – in Berlin dürfe man ja alles. Alles! Kaum zu ertragen sei es, wie hier jeder tun und lassen könne, was er will. Und alle gucken weg, keiner greift mal ein.
Was sie meinen? Zum Beispiel Hunde und deren Herrchen beziehungsweise Frauchen. Die gehen hier einfach morgens und abends ihre Runde und räumen nicht mal die Scheiße weg. Vor seiner Haustür, sagt der Mann, lagen letzte Woche wieder drei riesige Haufen, die Kinder machen beim Rausgehen schon immer einen großen Schritt. Und vor der Pfarrhaustür scheint jemand seinen Köter regelrecht anzuspornen, dort hinzumachen. Das stinkt ihn richtig an: dass in dieser Stadt nie durchgegriffen wird. Wem es hier nicht passt, der soll doch einfach wegziehen. Was wollen sie denn schon, die drei? Ein bisschen gute Nachbarschaft, gute Kitas und akzeptable Schulen für ihre Kinder. Und Ruhe
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