Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
schönen Kleidern können doch nichts dafür, dass es für dich früher nur hässliche Kittelkleider gab, in denen du wie eine Tonne auf Rollen ausgesehen hast.
Naja, nuschele ich kleinlaut, könnte was dran sein.
Also, ein bisschen mehr Frauensolidarität, ja? Aber pronto!
Ja, ja, ja, ist ja gut, murmele ich. Da betreten wie aufs Stichwort drei sexy Mamas den Sushiladen und setzen sich direkt an den Nebentisch. Sie sehen wirklich heiß aus in ihren kurzen Röckchen unter den dicken Bäuchen, mit ihren knallrot geschminkten Lippen und den verwuschelten Haaren. Ich gebe mir mächtig Mühe, nur positiv und frauensolidarisch zu fühlen, als die schönste der drei den Mund aufmacht und zu erzählen anhebt: »Also, der Oliver hat ja jetzt diesen geilen Job im Bundespresseamt, unbefristet. Aber dafür muss er richtig ran, und deshalb hat er mir gestern gesagt, dass er die Vatermonate knickt. Erst war ich ein bisschen sauer, ich wollte doch die Heilpraktikerinnen-Ausbildung noch fertig machen. Aber dann hab ich gedacht: Ach, warum eigentlich nicht? Ich bleib dann erst mal ganz zu Hause mit Lilly. Wozu hab ich denn ein Kind, wenn ich es von fremden Leuten betreuen lasse? Und der Olli, dem macht die Arbeit richtig Spaß da. Mal sehen, vielleicht krieg ich ja dann gleich noch ein Baby, wär schon schön, so eine richtige komplette Familie …«
Ich weiß, das klingt wie ein schlechter Geschlechtertraum. Aber das, liebe Leser, kann man leider einfach nicht erfinden. Genauso ist es passiert. Und ich dachte: Verdammt, ich war nur Millimeter davon entfernt, euch gern zu haben.
M ein Platz, dein Platz oder
M ehr Raum für Schwabenkinder
A lso sie findet Kinderlärm toll, sagt die junge Frau. Das sei so was wie eine wunderschöne menschliche Soundtapete – das ganze Rufen und Rennen, die Schreie und Balldotzer in der Dämmerung eines langen Sommertages. Da setzt sie sich gern draußen auf ihren klitzekleinen Balkon, knackt sich ein Malzbier, schaut rüber zur Gethsemanekirche, hört den spielenden Kindern zu und freut sich daran, wie die tief stehende Sonne Schatten in die Backsteinvorsprünge des Kirchturms schnitzt. Wunderbar sei das, da gebe es nix zu meckern.
Auch die anderen beiden am Tisch, der Mann und die Frau Mitte dreißig, stehen voll auf die menschliche Soundtapete in ansprechender Innenstadtlage. Deshalb und damit noch mehr Leute hier in der Ecke in diesen Genuss kommen, haben sie eine Bürgerinitiative gegründet. Ihr Ziel lautet: Autos raus, Spielzone rein – ungestörtes umweltfreundliches Familienglück, Laufrad- und Buggyverkehr, Picknick und Keksgekrümel vierundzwanzig Stunden lang täglich.
Doch überraschenderweise finden nicht alle Menschen, die an diesem Kirchplatz wohnen, diese Idee so kuschelig wie die kinderbegeisterte junge Frau und ihre Mitstreiter. Im Gegenteil, sie haben mächtig was zu meckern, die Schichtarbeiter, die Jugendlichen, die Kinderlosen und die Hundehalter – auch wenn sie die Minderheit hier sind. Vor den drei Bürgerbewegten in der lichten Altbauwohnung liegen 123 Fragebögen. 635 hatten die Kinderfreunde kürzlich in die Briefkästen am Platz geworfen. Sie wollten wissen, wie ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger die Idee finden, hier alles zu verkehrsberuhigen und stattdessen »einen urbanen Stadtplatz für die Menschen, einen Ort der Begegnung, der Ruhe und der Erholung« zu schaffen.
Nicht allzu viel halten die Nachbarn davon, das stellt sich beim Auswerten der Fragebögen heraus. Nur zwei Dutzend Anwohner finden die Idee mit der Begegnung gut. Ostberlin scheint wohl noch nicht gänzlich bereit, sich den Interessen der Mehrheit, also der Familien, unterzuordnen. »Völliger Quatsch«, hat jemand auf seinen Fragebogen gekritzelt; »es ist schon jetzt viel zu laut.« »Und wo soll ich dann bitte parken?«, fragt ein anderer. Viele schreiben, sie hätten Angst, dass bei zu grünflächigen Bedingungen Müll, Drogen und Trinker an diesem besonders lauschigen Platz ein Zuhause finden könnten. Und wieder andere empfehlen den Autoren des Fragebogens unverblümt, doch einfach wegzuziehen, dahin, wo sie herkommen, wenn es ihnen so, wie es ist, partout nicht gefällt. Na, wer wird denn gleich sauer werden?
Man muss nicht viel vom Prenzlauer Berg wissen, man muss nicht einmal dort gewesen sein, um von der Gethsemanekirche gehört zu haben. Sie steht schön und aufrecht seit über hundertzwanzig Jahren an einem Knick, den die vorbeiführende Straße hier macht. Drumherum begrenzen
Weitere Kostenlose Bücher