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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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dort, wo sie Ruhe haben wollen. So kennen sie das auch von zu Hause.
    Aber, frage ich, ist es nicht irgendwie auch ein bisschen nachvollziehbar, wenn so ein kinderlärmpenetrierter Schichtarbeiter seinen Protest in Form von Hundehaufen manifestiert? Und wenn die Leute sauer sind, dass ihnen die engagierten Eltern hier ihre eh schon knappen Parkplätze mit Rasen und Ranunkeln zupflanzen wollen? Meine Frage löst großes Kopfschütteln aus. Andersrum, genau andersherum müsste es doch laufen. Wenn aus dem Gethsemaneplatz endlich eine schöne parkplatzfreie Familienoase geworden ist, erhöht sich endlich der Druck auf die Anwohner, sich mit Alternativen zum Auto zu befassen. Sie haben alle drei keins, es geht doch also. Sie fahren mit dem Rad oder den Öffentlichen, und wenn’s zur Oma nach Schwaben geht, mieten sie ein Auto. Warum können denn das nicht alle so machen?, fragen sie. Ist doch viel schöner!
    So wird das nichts, denke ich im Gehen. So wird das nichts mit dem Zusammenleben. Volksbeglückung, das haben schon ganz andere versucht hier im Prenzlauer Berg. Bis jetzt ist das immer schiefgegangen. Ich wünsche den dreien trotzdem Erfolg und entwische ins Freie. In der Hofeinfahrt parkt vorschriftswidrig ein Auto, ein Aupair-Mädchen kutschiert einen Zwillingskinderwagen vorbei, ein Bauarbeiter köpft sich ein Mittagsbier. Und von ganz hinten, aus der schattigsten Ecke hinter der Kirche höre ich das übliche Spielplatz-Kindergeschrei. Soundtapete – so weit okay.
    Zwei Monate später ist es dann so weit: Die drei von der Bürgerinitiative haben fertig gezählt und stellen die Ergebnisse ihrer Umfrage ins Internet. Warum das so lange gedauert hat, wird jedem klar, der sich das Ganze etwas genauer anschaut. Kurz gesagt sind die Umfragewerte der Autokritiker miserabel. Nicht mal 20 Prozent der Leute waren bereit, den Zettel auszufüllen. Jeder andere würde das als klare Absage seitens seiner Mitbürger werten. Nicht so unsere Freunde von der Bürgerinitiative.
    Die halten es da lieber mit den Altvorderen sozialistischen Zuschnitts, die ja auch immer dachten, das Volk sei einfach noch nicht reif für die richtigen Entscheidungen. Und so werten sie die maue Beteiligung als völlig zu vernachlässigendes Indiz und widmen sich ausgiebig den Antworten auf den ihnen vorliegenden Zetteln – das sind noch immer ganze 123 von 635. Im Fokus ihrer Analyse stehen nun nicht mehr die insgesamt Befragten, sondern nur noch die, die überhaupt geruht haben, zu antworten. Die Auswertung kommt mit dieser Sicht der Dinge zu folgendem Ergebnis: »Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer befürworten die Initiative einer (teilweisen) autofreien Nutzung; ein Viertel ist dagegen.« Ja, so kann man das sehen, vorausgesetzt, man operiert so wie hier mit Zahlen im My-Bereich.
    Ein bisschen gereizt reagieren die Spielplatzfreunde angesichts eines Zettels, den eine Anwohnerin so ausgefüllt hat: »Wir sind noch nie von fahrenden oder parkplatzsuchenden Autos am Schlafen gehindert oder mitten in der Nacht geweckt worden, wohl aber (und insbesondere an den Wochenenden) von fröhlichen, betrunkenen, gröhlenden oder laut lachenden Menschen. Es klingt vielleicht bescheuert, aber uns schützen die parkenden Autos vor Lärm.«
    So viel ökologische Vorgestrigkeit bedarf einer öffentlichen Rüge. »Die Anwohner der Gethsemanestraße sind fein raus«, antworten die Analysten in ihrem Papier, weil es da keinen Durchgangsverkehr gibt. »Ignorant, wenn nicht zynisch«, finden sie jedoch die Haltung der offenherzigen Mitbürgerin, »zu übersehen, dass das eigene Auto dann, wenn es gerade einmal nicht still vorm Haus steht, andernorts in der Stadt zu massiver Lärm-, Feinstaub- und Abgasbelastung beiträgt, die offenkundig für Betroffene gesundheitsschädliche Ausmaße annehmen kann.« Zynisch, andernorts, offenkundig, massiv – das ist das Wortbesteck von Agitatoren. Jedes Adjektiv eine Kopfnuss. Als gelernte DDR -Bürgerin rieche ich so etwas zehn Meilen gegen den Wind.
    Aber sie regen sich auch wieder ab. Am Ende kommen sie mit ihrem modifizierten Vorschlag rüber: tagsüber den Platz den Bewohnern, nachts den Autos. Es ist verblüffend, wie forsch sie sind. Nach sieben Seiten Umfrageauswertung hat sich einfach kein anderes Ergebnis ergeben als: Keiner will das. Aber weil ein paar Leute so gutgläubig waren und auf ihre Fragen geantwortet haben, müssen diese nun als Öffentlichkeit herhalten, mit der man in einen nicht mehr endenden konstruktiven
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