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Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Titel: Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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ganz damit beschäftigt, sich von seinen verworrenen Gedanken abzulenken, merkte der Schriftsteller gar nicht, dass er nicht allein war, bis er eine Stimme hörte.
    »Ciba? Hörst du mich? Lebst du noch?«
    Die Stimme war leise, fast ein Flüstern. Hinter ihm. Eine Stimme, die auf abstoßende Weise kein r rollte. Eine Stimme, die ihm ziemlich auf den Geist ging.
    Fabrizio machte die Augen auf und stieß einen Fluch aus.
    Das war Matteo Saporelli, diese Nervensäge.

64 An dem Tag, als er für das Catering des Festes engagiert worden war, hatte der unberechenbare bulgarische Chefkoch Zóltan Patrovič in Chiattis Arbeitszimmer ein Auge auf ein Ölgemälde von Giorgio Morandi geworfen, das ein paar Flaschen auf einem Tisch darstellte.
    Dieses Werk des Bologneser Malers würde dem Emilia-Romagna-Saal in seinem Restaurant Le regioni neuen Glanz verleihen.
    Seit Jahren nahm das Lokal in der Via Casilina Ecke Via Torre Gaia in den europäischen Restaurantführern einen Spitzenplatz ein. Entworfen hatte es der japanische Architekt Hiro Itoki 1990 als eine Art Italien in Miniaturausgabe. Aus der Vogelperspektive hatte das lange Gebäude dieselbe Form und dieselben Proportionen wie die italienische Halbinsel, einschließlich der größeren Inseln. Es war in zwanzig Säle unterteilt, die nach Form und kulinarischen Spezialitäten den italienischen Regionen nachempfunden waren. Die Tische trugen den Namen der jeweiligen Hauptstädte.
    Morandis Bild würde perfekt über den Weinkühlschrank passen, in dem er den Lambrusco aufbewahrte.
    Nach dem Fest, so hatte der Bulgare beschlossen, würde er sich das Bild von Salvatore Chiatti schenken lassen. Und falls der sich weigern sollte, was zu erwarten war, würde er es ihm abluchsen, indem er in seinem Kopf ein bisschen Verwirrung stiftete.
    Aber nun, wo das Fest in die Hose gegangen war, die Gäste im Park verschollen waren und er den Körper des Unternehmers leblos in einer Blutlache hatte liegen sehen, gab es für ihn überhaupt keinen Grund mehr, sich nicht mit diesem Kunstwerk für seine Arbeit zu belohnen.
    Im Dunklen schlich er, mit einer Kerze in der Hand, leise wie eine schwarze Katze die breite Treppe zum ersten Stock der Villa hinauf, die von Kellnern und Personal verlassen war.
    Die Treppenstufen waren mit Einrichtungsgegenständen, Kleidungsstücken, Tellern, zerbrochenen Statuen übersät.
    Die Monster hatten das ganze Haus verwüstet. Dem Chefkoch war es egal, wer sie waren und was sie wollten. Er schätzte sie, weil sie seine Küche gewürdigt hatten. Er hatte die hemmungslose Gier gesehen, mit der sie über das Buffet hergefallen waren. In ihren farblosen Augen hatte er die uralte Ekstase des Hungers erkannt.
    In letzter Zeit war er manchmal ausgelaugt und frustriert gewesen, wenn er das Restaurant verließ. Er verabscheute die Leute, die wählerisch mit der Gabel im Essen herumpickten und beim Reden ab und zu einen Happen nahmen, hasste die Arbeitsessen, die nur aus sinnlosen Vorspeisen bestanden. Um den inneren Frieden wiederzufinden, war er dann gezwungen, sich Dokumentarfilme über den Hunger in der Dritten Welt anzusehen.
    Ja, der unberechenbare bulgarische Chefkoch verehrte den Hunger und hasste den Appetit. Für ihn war Appetit der Ausdruck einer satten, zufriedenen Welt, kurz vor der Selbstaufgabe. Ein Volk, das kostete anstatt zu essen, den Appetit anregte anstatt den Hunger zu stillen, ist schon tot, ohne es zu wissen. Hunger ist ein Synonym für Leben. Ohne Hunger ist der Mensch nur noch ein Schatten seiner selbst und fängt folglich an, sich zu langweilen und zu philosophieren. Und Zóltan Patrovič hasste die Philosophie, vor allem die Küchenphilosophie. Er trauerte dem Krieg hinterher, dem Mangel, der Armut. Demnächst würde er alles verkaufen und nach Äthiopien auswandern.
    Der unberechenbare bulgarische Chefkoch erreichte den ersten Stock. Die Luft war rauchgeschwängert, und überall, wo das flackernde Licht der Kerze hinfiel, waren Zeichen der Verwüstung zu sehen. Aus dem Schlafzimmer drangen ein Murmeln und der Widerschein von Feuer.
    Eigentlich interessierte ihn nicht, was dort drinnen vorging, er wollte ins Arbeitszimmer, aber die Neugier übermannte ihn. Er blies die Kerze aus und näherte sich der Tür. Ein großer Wandteppich und die Brokatvorhänge brannten lichterloh, und die Flammen erhellten das Zimmer. Auf dem Bett mit Baldachin lag Jekaterina Danielsson, vollkommen nackt. Wie eine rote Wolke umrahmten die Haare ihr kantiges Gesicht.

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