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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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herunterzurutschen drohte, worauf sie es ruhig wieder in die Höhe schob. Ich sah wieder die drei kleinen Narben am linken Oberarm, und wieder kam mir das Gelüst, meine Lippen darauf zu drücken und von den glatten weichen Schlangen ihrer Arme meinen Hals umstrickt zu fühlen.
    Endlich, als würde sie durch meine zudringlich prüfenden Blicke belästigt, nahm sie die Falten des Schleiers über ihrer Brust wieder zusammen und stand auf.
    ›Dieses Sträußchen nehm’ ich zum Andenken mit‹, sagte sie. ›Ihr habt viel schönere Blumen als wir, auch duften sie, was unsere nicht tun.‹
    Sie zog eine Handvoll Immortellen [86] hervor, die sie im tiefen Ausschnitt ihres schwarzen Samtkleides getragen hatte. ›Wollen Sie sie haben? Auch zum Andenken? Wozu soll ich mich auch sonst putzen als für einen guten Freund? So gut wird mir’s nicht alle Tage.‹
    ›Abigail!‹, rief ich, jetzt vollends hingerissen, da sie in ihrer ganzen Schönheit am mondbeschienenen Fenster vor mir stand, das blonde Haar unter dem Schleier vorleuchtend, ›soll dies unser letztes Begegnen gewesen sein? Sie sind wieder frei, und ich so einsam wie Sie, und dass wir nicht früher zusammenkommen konnten – wir haben jetzt eingesehen, dass es nicht unsere Schuld war. Liebe Abigail – können Sie sich – kannst du dich jetzt noch entschließen, mein Weib zu werden?‹
    Ich stürzte auf sie zu und wollte sie in meine Arme ziehen. Sie trat aber einen großen Schritt zurück und streckte beide Hände abwehrend gegen mich aus.
    ›Nein, mein schöner Herr!‹, sagte sie, und ein kühler spöttischer Ausdruck des weißen Gesichts schlug meine Wallung nieder. ›Machen wir keine Dummheit. Sie haben mich darum gebracht zu erfahren, wie das Leben an der Seite eines geliebten Menschen sein könnte. Das holt man nie wieder nach. Sie würden beständig Vergleiche anstellen zwischen mir und der guten kleinen Frau, die Sie so glücklich gemacht hat und so ganz anders war als ich – oder können Sie leugnen, dass Sie glauben, eine bessere Frau habe nie ein Mensch besessen? – Nun und ich, wenn ich auch gewünscht hätte, mein Mann möchte dreißig Jahre jünger gewesen sein – wie er mich angebetet, wird mich niemand mehr anbeten. Also einen Strich darunter und ohne Winseln und Wehklagen! Aber ich seh’ es Ihnen an, Sie sind jetzt sehr verliebt in mich, nun, und warum sollte ich Sie verschmachten lassen? Ich bin ja jetzt ganz unabhängig und kann über meine Person nach Belieben verfügen. Wenn man’s einmal verscherzt hat, sich am Glück satt zu trinken, warum soll man verschmähen, einmal davon zu nippen, um sich wenigstens eine kurze Illusion von Glück zu verschaffen, zumal in einer so schwülen Nacht, wo ein armes Menschenkind eine Erfrischung wohl brauchen kann?‹
    Ich kann nicht beschreiben, wie wunderlich diese Worte auf mich wirkten. Dies Gemisch von Schwermut und Leichtfertigkeit, von Resignation und Genusssucht war mir so fremd an dem einst so spröden und kühlen Wesen, dass ich mich erst eine Weile fassen musste, eh ich etwas gewiss sehr Einfältiges erwidern konnte. Ich hörte sie auch leise lachen.
    ›Sie wundern sich, dass ich trotz meiner puritanischen Erziehung so wenig prüde bin. Nun, das vergeht einem mit den Jahren; der dunkle Grund dringt immer mehr herauf, vor Wut und Gram über ein verlorenes Leben könnte selbst ein Engel von einem keuschen Weibe zu einer Teufelin werden. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich dränge mich Ihnen nicht auf. Ich sagte es ja schon, ein armer Revenant darf nicht große Ansprüche machen. Also leben Sie wohl und gute Nacht!‹
    Sie hatte das mit so eigentümlich gedämpfter Stimme, wie ergeben in ein trauriges Schicksal, gesprochen, dass mein ganzes Herz ihr wieder entgegenschlug. Ich streckte den Arm aus, sie an meine Brust zu ziehen, aber wieder trat sie zurück.
    ›Nicht hier!‹, flüsterte sie. ›Was würden die Leute im Hause von mir denken, wenn ich morgen früh die Treppe hinunterginge! Begleiten Sie mich in meine Wohnung, da sind wir ungestört, und kein Hahn kräht danach, wenn ich mir Gesellschaft einlade. Wollen Sie? Nun so kommen Sie und lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren. Die Stunden eilen und das Glück enteilt mit ihnen.‹
    Sie wandte sich nach der Türe, und ich sah wieder mit Entzücken ihren leichten, schwebenden Gang, der unhörbar über den Teppich glitt. All meine Sinne fieberten, als ich ihr folgte, die Treppe hinab, wo das Gas jetzt ausgelöscht war, zu dem

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