Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
Vom Netzwerk:
wir uns nur ein wenig schmiegen, geht es auch so.‹
    Indem sie das sagte, sah ich, wie sie durch den Zwischenraum zweier Eisenstäbe hindurchglitt, so leicht, als wäre statt der üppigen Frauengestalt eine Wolke hineingeschwebt.
    Nun stand sie drüben, jetzt wieder im hellen Mondschein, und nickte mir zu. ›Wer mich lieb hat, folge mir nach!‹, rief sie, wieder mit ihrem schadenfrohen Lachen. Zugleich aber leuchtete mir nun ihre Schönheit voll entgegen, dass ich vor Sehnsucht und Ungeduld aus der Haut zu fahren dachte.
    ›Spiele nicht so grausam mit mir!‹, rief ich. ›Du siehst wohl, auf diesem Wege kann ich nicht zu dir kommen. Hast du mich so weit gelockt, so vollende nun dein gutes Werk, hole den Schlüssel und lass mich ein!‹
    ›Das könnte dem Herrn wohl gefallen!‹, höhnte sie durch das Gitter, und ihre Augen blitzten mich an. ›Und morgen früh, wenn die Hähne krähen, ginge er auf und davon und ließe mich einsame Witwe ohne alle Gewissensbisse zurück. Denn ich bin nur schön bei Nacht. Wenn die Sonne scheint, darf ich mich nicht sehen lassen. Nein, schöner Herr, es war mir um ein sicheres Geleit zu tun, da eine tugendsame Frau um Mitternacht nicht gern allein auf der Straße betroffen wird. Und nun bedank ich mich für den Ritterdienst und wünsche dem Herrn Major, oder was er sonst sein mag, eine glückliche Reise.‹
    Sie machte einen tiefen Knicks, wobei sich die reizende Gestalt verführerischer als je darstellte, und wandte sich dann langsam ab, um die Allee hinaufzuschreiten.
    ›Abigail‹, rief ich außer mir, ›ist es möglich! So unmenschlich kannst du mich behandeln, mir erst alle Himmel offen zeigen und mich dann erbarmungslos in die schadenfrohe Hölle stürzen? Wenn ich es verscherzt habe, dich je die Meine zu nennen, stoß mich wenigstens nicht ohne Trost von dir, gib mir einen Tropfen Liebe zu kosten, dass ich meine durstige Seele damit beschwichtige! Nur einen Kuss, Abigail – aber nicht wie damals, als dein Herz nicht auf deinen Lippen war, sondern wie man einen Freund küsst, dem man ein schweres Vergehen verziehen hat!‹
    Sie war stehen geblieben und drehte sich ruhig wieder nach mir um. ›Wenn dem Herrn mit so wenig gedient ist – Abigail ist nicht grausam, obwohl das Leben ihr selbst grausam mitgespielt hat. Und überdies hätte ich auch wohl einmal Lust zu küssen, wozu ich mein Lebtag nicht recht gekommen bin.‹
    Sie kehrte um und trat wieder dicht an das Gitter heran. Mit den beiden glatten weißen Armen griff sie durch die Stäbe hindurch und zog meinen Kopf rasch an ihr Gesicht heran. Ganz nahe sah ich ihre großen grauen Augen, die auch jetzt ohne Liebe und ohne Hass in kaltem Glanze strahlten. Dann fühlte ich, wie ihr Mund sich auf den meinen presste, und ein seltsamer Schauer, halb Angst, halb Seligkeit, rann mir durch das Blut. Ihre Lippen waren kalt, aber ihr Atem glühte mich an, und mir war, als saugte sie mir die Seele aus dem Leibe. Vor meinen Augen wurde es schwarz, der Atem verging mir, ich suchte angstvoll mich loszumachen, aber ihr kühler weicher Mund blieb fest auf meine gedrückt – ich strebte danach, mich der Umstrickung ihrer Arme zu entwinden – die weichen Schlangen umschnürten meinen Nacken wie stählerne Reifen, und wo war die Kraft meiner Arme geblieben? Wie wenn das Mark in ihnen durch jenen Kuss aufgezehrt würde, sanken sie kraftlos herab, der Todesschweiß trat mir auf die Stirne, wie ein halb ohnmächtiger armer Sünder, der die Folter erleidet, hing ich an dem Gitter, ich wollte schreien, und kein Ton durchbrach den so fest verschlossenen Mund, die Gedanken rasten mir durchs Hirn wie bei einem ins tiefe Meer Versinkenden, noch zwei Augenblicke in dieser Qual und es war um mich geschehen – da brach ein Schall wie das Klatschen einer Peitsche in die grauenhafte Stille hinein, sogleich löste sich der Mund drüben von dem meinigen, ein helles Gelächter erscholl zwischen den Stäben, ich verlor die Besinnung und brach zusammen.
    Als ich wieder zu mir kam, sah ich meinen Freund, den Doktor, neben mir knien, beschäftigt, mir mit irgendeiner Essenz, die er aus seiner Handapotheke geholt, Stirn und Schläfe zu reiben. Sein Wagen stand dicht dabei in der Allee, ich begriff, dass ich seinem Kutscher die Erlösung von dem Gespenst zu verdanken hatte, da das Knallen der Peitsche es verscheuchte.
    ›Was Teufel, alter Freund, hast du hier draußen am Friedhof in der Geisterstunde zu suchen?‹, rief der Arzt, als ich mich ein wenig

Weitere Kostenlose Bücher