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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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gern, da ich jetzt so einsam bin – mein Mann ist vor drei Jahren gestorben –, einen alten Freund einmal wieder begrüßen. Sie wissen, on revient toujours [84] –! Freilich, so ein armer Revenant [85] macht eine traurige Figur, aber wenn ich hässlich geworden bin, Sie dürfen mir’s nicht vorwerfen, Sie sind ja schuld daran – doch davon wollen wir jetzt nicht reden. Man muss sich das bisschen hübsche Gegenwart nicht durch unliebsame Rückblicke verderben.‹
    Noch immer fand ich kein Wort. Was ich aus dem ganzen Abenteuer machen sollte, war mir rätselhaft. Abigail, die ich so stolz und zurückhaltend gekannt hatte, jetzt hier um Mitternacht auf meinem stillen Gasthofzimmer, nur um mich wieder zu begrüßen!
    ›Es ist so dunkel hier‹, stammelte ich endlich, ›erlauben Sie, dass ich Licht mache.‹
    ›Nein, lassen Sie‹, fiel sie mir ins Wort. ›Es ist hell genug, dass wir unsere Augen sehen können, und weiter bedarf es nichts. Ich bin eitel, müssen Sie wissen. Sie sollen nicht auf meinem Gesichte die Spuren der vielen Jahre sehen, die seit unserem letzten Begegnen verflossen sind. Ich habe die Zeit nicht gerade sehr lustig zugebracht. Wenn Sie mich nicht hätten sitzen lassen, wäre ich vielleicht vergnügt gewesen, und wer sich glücklich fühlt, altert nicht!‹
    ›Gnädige Frau –!‹, rief ich und wollte ihr sagen, dass ich mich zwar nicht frei von Schuld wisse, sie aber, was geschehen, mitverschuldet habe. Sie ließ mich aber nicht zu Worte kommen.
    ›Nennen Sie mich mit meinem Mädchennamen, nicht gnädige Frau!‹, sagte sie. ›Solange mein Mann lebte, musste ich mir diese Anrede gefallen lassen, die mir doch nicht zukam. Ich war nur die barmherzige Schwester meines guten Mannes, nicht sein Weib. Und noch etwas freilich: sein Modell, das er vergötterte, anbetete, dessen Schönheit zu preisen er nicht müde wurde. Anfangs machte mir das Vergnügen, bald aber langweilte mich’s. Und dass er mich in hundert Stellungen und Lagen zeichnete, erschien mir vollends als eine unausstehliche Fron. Aber was sollt ich machen? Es war seine einzige Freude, und die durfte ich ihm nicht stören, er war ein so edler, lieber Mensch, weit besser als Sie. Und doch fühlt ich mich wie erlöst, als er endlich seinen Leiden erlegen war.‹
    ›Abigail‹, sagte ich, ›es ist mir lieb, dass ich es einmal vom Herzen wälzen kann, was mich so lange bedrückt hat.‹ Und nun sagte ich ihr alles, meinen Kummer über ihre Kälte, die getäuschte Hoffnung, während des langen Feldzugs werde das Band von ihrem Herzen springen, und dass ich endlich verzweifelt sei, jemals das Eis um ihre Brust zu schmelzen.
    ›Oh‹, sagte sie mit einem leisen Zittern in der Stimme, ›Sie stellen das sehr zu Ihrem Vorteil dar, mein schöner Herr. Wenn Sie mich wirklich geliebt hätten, wäre Ihnen die Geduld nicht ausgegangen, darauf zu warten, dass ich, da ich die Liebe erst mühsam buchstabieren musste, endlich bis zum Z gelangte, nachdem ich doch einmal A gesagt hatte. Aber sobald Sie im Felde waren, hörte ich auf, für Sie zu existieren.‹
    ›Wie können Sie das sagen! Alle Briefe, die ich Ihnen schrieb –‹
    ›Ich habe nicht einen einzigen bekommen.‹
    Wir starrten einander an. Jedem von uns drängte sich derselbe Gedanke auf, dass die Mutter meine Briefe unterschlagen habe. Aber keins brachte das über die Lippen.
    ›Je nun‹, sagte sie endlich, ›Was hilft es, sich über verlorene Dinge den Kopf oder gar das Herz zu zerbrechen! Sie haben einen hinlänglichen Ersatz gefunden, und auch ich hätte es viel schlimmer haben können. Am Ende wären wir zwei nicht einmal glücklich miteinander geworden. Ich gestehe Ihnen ehrlich, ich weiß immer noch nicht, ob ich im Grunde gut oder schlecht bin. Vielleicht bin ich keines von beiden. Vielleicht denkt die Natur, wenn sie einen Menschen besonders schön geschaffen hat, sie habe nun genug für ihn getan und brauche ihm weiter nichts ins Leben mitzugeben. Mein Mann, der ein Kunstenthusiast war, verlangte auch nicht mehr. Sie aber – ich glaube, es hätte Sie bald gelangweilt, meine schönen Schultern und Arme anzugaffen.‹
    Damit schlug sie den schwarzen Schleier zurück und lag hingegossen in der reizendsten Haltung, mit einem ernsten Blick an sich selbst hinunterschauend. Aber in der Tat noch schöner geworden mit der größeren Reife, die blassen Arme ein wenig voller und auch jetzt nur oben an der Achsel mit einem schmalen Band umschlungen, das alle Augenblicke

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