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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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konnte, wo ich stand, ohne zu erleben, dass sie mir einen Schritt entgegentrat.
    So ging das Jahr zu Ende, wir hatten weder einen Weihnachts- noch einen Neujahrsgruß ausgetauscht. Im Februar wurde ich verwundet und nach Mainz transportiert. Wie ich in dem Hause, in welchem ich wochenlang die liebevollste Pflege fand, die kennenlernte, die im nächsten Jahr meine Frau wurde, gehört nicht hierher. Das Wort, das unser Schicksal entschied, war noch nicht zwischen uns gesprochen worden, wir wussten nur, dass wir einander fürs Leben gefunden hatten, da kam eines Tages ein Brief Abigails, sie habe in der Zeitung von meiner Verwundung gelesen und frage bei mir an, ob sie und die Mutter kommen sollten, mich zu pflegen. Von bräutlichen Gefühlen keine Spur, ein Brief, dessen Inhalt aus dem unpersönlichsten Gebot allgemeiner Nächstenliebe hervorgegangen sein konnte. Vielleicht hatte die Mama ihn diktiert. Aber musste die Tochter so sklavisch nachschreiben?
    Ich bat Helene, der ich damals zuerst von meinem nun gelösten Verhältnis erzählte, in meinem Namen für das freundliche Anerbieten zu danken. Es fehle mir nichts, und ich sei in der besten Pflege.
    Das war das letzte Lebenszeichen, das ich von meinem angebeteten ›Bild ohne Gnade‹ erhielt. Ein allerletztes, das im Herbst ’71 von mir ausging, die Verlobungsanzeige, kam als unbestellbar aus München zurück. Als ich kurz darauf selbst wieder nach Hause kam, erfuhr ich, die Damen seien schon vor dem Einmarsch der siegreichen Truppen fortgezogen, niemand wisse wohin, vielleicht nach Österreich zurück auf ihren Landsitz.
    Doch schon im nächsten Jahr drang das Gerücht zu uns, die schöne Abigail habe sich ebenfalls vermählt, mit einem hochbejahrten reichen Norddeutschen, der sie in einem Badeorte kennengelernt. Übrigens ein feiner und überall hoch geachteter Mann, großer Kunstfreund und Besitzer einer ausgewählten Gemäldesammlung neuerer Meister, der das schöne Fräulein wohl mehr als eine Zierde seiner Galerie, ein atmendes, plastisches Kunstwerk, sich angeeignet habe, da er fünfunddreißig Jahre älter sei und von schweren gichtischen Gebrechen geplagt. Dass der kalte Fisch, wie man Abigail nannte, sich nicht lange besonnen habe, eine solche Heirat einzugehen, schien niemand zu verwundern.
    Seitdem habe ich nie wieder ein Wort von ihr gehört; der Ort, wo sie lebte, war mir nicht im Gedächtnis geblieben, nur den Namen Windham hatte ich behalten. Und nun las ich ihn in dem Lokalblatt, das ich ahnungslos überflogen hatte, und konnte nicht zweifeln, es war ihr Gatte, von dessen Bildergalerie hier die Rede war.
    Ich rief den Kellner und fragte, ob er mir Näheres von dem Besitzer dieser Galerie und seiner Familie sagen könne. Er wusste nicht mehr, als dass Herr Windham vor einigen Jahren gestorben sei und seine Sammlung der Stadt vermacht habe. Ob er eine Frau gehabt, könne er nicht sagen. Vielleicht wisse es der Wirt. Der sitze aber in seinem Privatzimmer mit ein paar Freunden beim Skat und liebe es nicht, dabei gestört zu werden.
    Ich verbat das auch und suchte mir vorzureden, dass ich durchaus kein Interesse daran hätte, ob eine Frau Abigail Windham als Witwe in dieser Stadt lebe oder etwa mit ihrer Mutter wieder auf dem steirischen Landgut. Was war mit dieser alten Flamme? Ein Bild und ein Name. Und vielleicht war auch das Urbild in diesen elf Jahren stark verblichen oder nachgedunkelt, und ein Wiedersehen konnte keinem von uns erwünscht sein.
    Lassen Sie mich gestehen, dass auch ein nie ganz unterdrücktes Gefühl eigener Verschuldung sich wieder in mir regte. Im Grunde, was hatte ich ihr vorzuwerfen? Sie hatte nur nicht gehalten, was sie nie versprochen hatte, was ihrer Natur nun einmal versagt war. Wer weiß, wenn ich mich auf ihr einfaches Wort verlassen und alles der Zukunft anheimgestellt hätte, wäre der zarte Keim einer Neigung zu mir am Ende wirklich kräftig zur Blüte gediehen, und ein so langsam erschlossenes Herz hätte doch wohl keinen geringeren Wert gehabt als eines, das über Nacht entscheidet. Nein, es war ein schnöder Wankelmut gewesen, mich plötzlich von ihr abzuwenden. Freilich, ob ich mit ihr so glücklich geworden wäre wie mit meiner armen Helene –? Aber darauf kam es nicht an. Ich hatte ihr meine Treue gelobt, und war’s eine Übereilung gewesen, als Ehrenmann war ich verpflichtet, sie nicht im Stich zu lassen.
    Ähnliche Betrachtungen hatte ich im Laufe der letzten Jahre mehr als einmal angestellt und sie immer mit

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