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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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Sophismen zurückzudrängen gesucht. An jenem Abend gewannen sie eine solche Macht über mich, dass ich in sehr trübseliger Stimmung dasaß, einen bitteren Geschmack auf der Zunge, den selbst der edle Wein nicht wegspülen konnte.
    Darüber war es spät geworden. Die Spieler hatten das Lokal verlassen, nur eine einzige Schachpartie zog sich hartnäckig in die Länge. Ich brach endlich auf und merkte nun erst, dass schwerer Wein und schwere Gedanken nicht gut zusammen taugten. Denn der Kopf brannte mir, und am Herzen fühlte ich einen lästigen Druck. Das besserte sich aber, als ich in die linde Nachtluft hinaustrat und meinen wohlbekannten Weg nach dem Gasthof einschlug. Keiner Menschenseele begegnete ich als einem Nachtwächter, der in dieser altertümlichen Stadt noch mit Spieß und Laterne die Runde machte – damals wenigstens. Die Laterne war überflüssig, denn ein zauberhafter Mondschein lag auf Dächern und Gassen und ließ die krausen Ornamente der alten Erker und selbst die Inschriften über den Hintertüren taghell hervortreten. Die Nacht war so wundervoll, dass ich noch einen weiten Umweg machte, eh ich mich entschloss, mein Zimmer aufzusuchen, das über Tag ziemlich schwül gewesen war. Hoffentlich hatte das Zimmermädchen die Fenster offen gelassen.
    So erreichte ich das Hotel, fand die Tür noch angelehnt, den Portier aber in seiner Zelle in tiefen Schlaf gesunken. Ich gönnte ihm seine Ruhe, zumal ich den Zimmerschlüssel hatte stecken lassen. Den Weg zur Treppe hinauf konnte ich auch bei dem schläfrigen Gaslicht ohne Führer finden. Ich hoffte, einen langen Schlaf zu tun, denn ich fühlte eine bleierne Müdigkeit in allen Gliedern. Als ich aber meine Tür öffnete, sah ich etwas, das plötzlich alle träumerische Dumpfheit von mir nahm und mich mit einem jähen Ausruf der Überraschung an die Schwelle fest bannte.
    Die beiden Fenster des Zimmers gingen nach einem freien Platz hinaus und ließen das grelle Mondlicht breit hineindringen. Desto dunkler war es in der hinteren Ecke, wo das Bett stand, und gegenüber an der anderen Wand bei dem Sofa. Und doch sah ich deutlich, dass jemand auf dem Sofa saß, eine schwarz gekleidete Frauengestalt, nichts Helles an ihr als das Gesicht. Das sah unbeweglich aus einem schwarzen Schleier hervor, der von der einen Hand unter dem Kinn zusammengehalten wurde, während die andere einen Blumenstrauß gegen das Gesicht hielt. Sie musste ihn aus dem Glase genommen haben, das auf dem Tisch vor dem Sofa stand, ein paar Rosen und Jasminblüten, die mir die Frau meines Freundes nach Tische in ihrem Garten gepflückt hatte.
    Auch bei meinem Eintritt regte sich die verhüllte Gestalt nicht im Mindesten. Erst als ich mich ermannt und dicht an den Tisch trat – die Worte versagten mir, ich traute noch immer meinen Augen nicht –, hob die Fremde den Kopf, den sie auf die Lehne des Sofas hatte zurücksinken lassen, und ich sah nun trotz der Dunkelheit ganz deutlich zwei große graue Augen auf mich gerichtet.
    ›Abigail!‹
    Die Gestalt blieb ruhig sitzen. Sie schien durchaus nicht verlegen, an diesem Ort, zu dieser mitternächtigen Stunde sich mir gegenüber zu befinden. Nur die Hand mit den Blumen ließ sie in den Schoß sinken. Dann, nach einer Weile, hörte ich sie sagen – die Stimme klang mir unheimlich fremd:
    ›Kennen Sie mich wirklich noch? War alle Mühe, die Sie sich gegeben haben, mich zu vergessen, umsonst? Nun, das macht Ihnen alle Ehre. Ich sehe, dass ich Sie doch richtig taxiert habe.‹

›Abigail!‹, rief ich wieder. ›Ist es denn möglich? Sie hier? Wie kommen Sie in dieses Zimmer zu so ungewohnter Zeit?‹
    Ich hatte mich jetzt an das Halbdunkel gewöhnt und sah deutlich, dass ein kalter, lauernder Zug ihren Mund entstellte. Übrigens erschien sie mir schöner, als ich sie im Gedächtnis hatte, nur blasser, und die Brauen zogen sich zuweilen schmerzlich zusammen.
    ›Wie ich hierher gekommen bin?‹, erwiderte sie langsam mit einer etwas heiseren Stimme, wie jemand, der einsam lebt und das Sprechen oft tagelang nicht mehr übt. ›Das ist sehr einfach. Ich hörte, Sie seien hier auf kurze Zeit. Dass Sie mich nicht aufsuchen würden, wusste ich. Da musste ich mich wohl entschließen, zu Ihnen zu kommen. Den Weg hier herauf zeigte mir freilich niemand. Der Portier schlief. Aber ich las Ihren Namen auf der schwarzen Tafel unten und dabei die Nummer Ihres Zimmers. Da war ich so frei, mich hier häuslich niederzulassen, um Sie zu erwarten. Ich möchte doch

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