- Lasst die Toten ruhen
Sprache brachten. Der Ritter und Franz waren so sehr mit den Belangen des Gutes und der Einführung verschiedener deutscher Verbesserungen beschäftigt, dass sie nur wenig zu Hause waren. Zunächst war Franziska verzaubert von der neuen und unbekannten Gegend. Es erschien ihr so romantisch, so andersartig als in ihrer deutschen Heimat, dass sie höchsten Anteil an allem nahm und oft Vergleiche zwischen den beiden Ländern zog, die üblicherweise schlecht für Deutschland ausfielen. Bertha war genau der gegenteiligen Ansicht: Sie lachte über ihre Cousine und sagte, dass man wahrlich ein gesteigertes Interesse am Neuen und Fremden haben müsste, wenn man Hütten, bei denen der Rauch aus der Tür und den Fenstern statt aus dem Kamin steige, rußbedeckte Wände, nur unwesentlich sauberere Bewohner und unziemliches Gebaren gegenüber den gemütlichen Heimen und höflichen Leuten Deutschlands bevorzuge. Doch Franziska beharrte auf ihre Ansichten und erwiderte, dass alles in Österreich platt, ennuyant [95] und gewöhnlich war. Dass ein wilder Bauer von hier mit seinem rauen Mantel aus Haut zehn Mal so interessant für sie sei wie ein stiller Österreicher in seinem Feiertagsanzug – der bloße Anblick würde einen schon zum Gähnen bringen.
Sobald der Ritter die wichtigsten Angelegenheiten halbwegs geordnet hatte, kam die Gesellschaft erneut zusammen. Franz fuhr fort, seiner Cousine große Aufmerksamkeit zu widmen. Sie zeigte jedoch wenig Dankbarkeit und machte ihn zum Gegenstand ihres einfallsreichen Humors, der schnell zurückgekehrt war, nachdem die lange Reise beendet war und sie sich an das neue Leben gewöhnt hatte. Viele Ausflüge in das Umland wurden unternommen, aber es gab nur wenig Abwechslung in der Landschaft, und so hörten die Ausflüge bald auf interessant zu sein.
Die Gesellschaft war eines Tages in der altertümlichen Halle versammelt, das Mittagsmahl war gerade abgeräumt worden und man beriet, wohin man reiten solle. »Ich hab’ es«, rief Franziska plötzlich, »ich frage mich, warum wir nicht zuvor daran dachten, uns im Tageslicht den Ort anzusehen, an dem wir unser nächtliches Abenteuer mit den Wölfen und dem geheimnisvollen Fremden bestehen mussten.«
»Du meinst einen Besuch der Ruinen – wie wurden sie doch gleich genannt?«, fragte der Ritter.
»Burg Klatka«, rief Franziska heiter. »Oh, wir müssen unbedingt dorthin reiten! Es wird so zauberhaft werden, sich am Tage und in Sicherheit den Ort anzusehen, an dem wir so eine grauenhafte Angst hatten.«
»Bringt die Pferde«, befahl der Ritter einem Diener, »und sagt dem Verwalter, dass er unverzüglich zu mir kommen solle.« Dieser, ein alter Mann, betrat kurz darauf das Zimmer.
»Wir beabsichtigen, zu den Klatka-Ruinen zu reiten«, sagte der Ritter. »Wir hatten dort ein Abenteuer auf dem Weg erlebt.«
»Der alte Kumpan erzählte mir davon«, unterbrach der Verwalter.
»Und was sagst du dazu?«, fragte der Ritter.
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, antwortete der alte Mann seinen Kopf schüttelnd. »Ich war ein Junge von zwanzig Jahren, als ich zum ersten Mal in diese Burg kam, und jetzt ist mein Haar grau; ein halbes Jahrhundert ist seit dieser Zeit verstrichen. Hunderte Male rief mich die Pflicht in die Nachbarschaft jener Ruinen, doch niemals habe ich den Unhold der Burg Klatka gesehen.«
»Was sagst du? Wen heißt du so?«, wollte Franziska wissen, deren Sehnsucht nach Abenteuer und Romantik sich mit großer Stärke regte.
»Nun, die Leute nennen so das Gespenst, welches in den Ruinen spuken soll«, antwortete der Verwalter. »Es heißt, es zeigt sich nur in vom Mond erhellten Nächten –«
»Das ist völlig natürlich«, unterbrach Franz lächelnd. »Geister können das Tageslicht nicht ertragen, und wenn der Mond nicht schiene, wie sollte man den Geist sehen können? Es ist schließlich nicht anzunehmen, dass irgendjemand außer einem Narren die Ruinen im Fackellicht besucht.«
»Es gibt einige leichtgläubige Leute, die vorgeben, den Geist gesehen zu haben«, fuhr der Verwalter fort. »Jägersleut und Holzfäller behaupten, ihm bei der Eiche an der Kreuzung begegnet zu sein. Das, edler Herr, ist anscheinend der Ort, den er am häufigsten heimsucht, zumal der Baum gepflanzt wurde, um des Mannes zu gedenken, der dort fiel.«
»Und wer war das?«, fragte Franziska mit steigender Neugier.
»Der letzte Herr der Burg, die zu jener Zeit eine Art Räuberhöhle und das Hauptquartier aller Plünderer des Umlandes
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