- Lasst die Toten ruhen
diese Träume bescherte, doch die Auswirkungen, die es auf den Geist der Kranken hatte, erschreckten die Freundin.
Der Ritter Azzo wiederholte seine Besuche gelegentlich. Er kam immer an Abenden, an denen der Mond hell schien. Sein Verhalten war unverändert. Er war einsilbig, von kalter Höflichkeit gegenüber dem Ritter, gegenüber Bertha und besonders gegenüber Franz arrogant und herablassend, doch Franziska begegnete er mit einiger Freundlichkeit. Nach einem seiner kurzen Besuche wurden oftmals seine Eigenarten diskutiert. Bertha befand, dass in den auf altertümlicher Art geführten Reden ein tief sitzender Hass lag, eine kalte Verachtung für die ganze Menschheit ausgenommen Franziska. Daneben wurden noch zwei weitere Eigenheiten beobachtet. Bei keinem seiner Besuche, die alle während des Abendessens stattfanden, hatte man ihn dazu überreden können, etwas zu essen oder zu trinken, und das, ohne dass er einen glaubwürdigen Grund für seine Abstinenz nannte. Außerdem hatte sich sein Aussehen deutlich verändert; er schien ein anderer Mensch zu sein. Die Haut, zuvor so runzelig und straff, schien jetzt glatt und weich mit einem Schimmer von Rot in den Wangen, die begannen rund und prall auszusehen. Bertha, die ihre Abneigung ihm gegenüber überhaupt nicht verbergen konnte, sagte häufig, dass sosehr sie sein Gesicht zuvor gehasst hatte, als es mehr dem Haupte einer Leiche denn dem eines Lebenden glich, jetzt sei es noch abstoßender; sie fühlte stets einen Schauder durch ihren Körper laufen, wenn sein stechender Blick auf ihr ruhte. Vielleicht lag es an Franziskas Gunst oder an Azzos arroganten Antworten oder seinem insgesamt herablassenden Verhalten gegenüber Franz, jedenfalls wuchs des jungen Mannes Ablehnung immer mehr. Es war offenkundig, dass wann immer Franz etwas zu seiner Cousine in der Gegenwart von Azzo sagte, Letzterer das Gesagte sofort in ein schlechtes Licht rückte oder dessen Sinn völlig verdrehte. Dieses nahm von Tag zu Tag zu und schließlich erklärte Franz Bertha, dass er dieses Verhalten nicht länger ertrüge und dass er nur um Franziskas willen bisher noch keine Genugtuung gefordert hatte.
Zu dieser Zeit wurde die Gesellschaft der Burg durch die Ankunft von Berthas lang erwartetem Gast erweitert. Er traf ein, als sie gerade das Abendmahl einnahmen. Alle sprangen auf, um den alten Freund zu begrüßen. Der Ritter Woislaw war der Urtyp eines Soldaten, gehärtet und gestärkt durch den Kampf mit Männern und den Elementen. Sein gebräuntes Gesicht wäre nicht einmal hässlich ohne die feuerrote Narbe, die ein türkischer Säbel vom rechten Auge zur linken Wange gezogen hatte. Der Körperbau des Kastellans von Glogau war beinahe riesenhaft zu nennen. Nur wenige hätten seine Rüstung tragen können und noch weniger hatten sich darin mit derselben Gewandtheit bewegen können. Er selbst hielt seine Rüstung in Ehren, denn sie war ihm vom Pfalzgrafen von Ungarn geschenkt worden, als er das Lager verlassen hatte. Der blau gewirkte Stahl war reich mit goldenen Mustern verziert. Um seine Verlobte zu ehren, trug er diese Rüstung zusammen mit der wunderbaren Hand, die er vom Herzog erhalten hatte. Der Ritter und Franz wollten alle erdenklichen Details bezüglich des Feldzuges von Woislaw erfahren – und nur allzu gerne berichtete der auf das Genaueste von jeder Kleinigkeit der Schlachten, die in Hinblick auf die Beute erfolgreicher als je zuvor waren. Er sprach viel von der Stärke der Türken im Kampf Mann gegen Mann und erwähnte, dass er dem Herzog für das feine Geschenk großen Dank schuldete, da die Feinde aufgrund ihrer Kraft ihn für übermenschlich hielten.
Franziskas Kränklichkeit und leichenhafte Blässe waren zu deutlich, um nicht sogleich von Woislaw bemerkt zu werden, da er so gewohnt an ihre ehedem frische und fröhliche Erscheinung war. Er beeilte sich, nach dem Grund für diesen Wandel zu fragen. Bertha berichtete von allem, was sich ereignet hatte, und Woislaw hörte voller Spannung zu. Diese erreichte ihren Höhepunkt, als der sich wiederholende Traum zur Sprache kam und Franziska ihm jede Einzelheit genau erläutern musste. Es schien, als sei ihm ein ähnlicher Fall bereits begegnet oder habe er zumindest davon gehört. Sobald die junge Dame von der bemerkenswerten Wunde an ihrer Kehle sprach, die seither nicht vollständig verheilt war und sie immer noch schmerzte, sah der Ritter Woislaw Bertha an, als wolle er sagen, dass dieser letzte Umstand ihm Gewissheit ob der
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