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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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hätte leisten können.«
    Die hell erleuchtete Kammer ermöglichte einen guten Blick auf den Fremden. Er war ein etwa vierzigjähriger Mann und außerordentlich hager. Seine Gesichtszüge waren nicht uninteressant – in ihnen lag etwas Kühnes und Wagemutiges; insgesamt war der Ausdruck alles andere als freundlich. In seinen kalten grauen Augen waren Hohn und Spott zu lesen, und ihr Blick war zeitweilig so stechend, dass niemand ihn lange ertrug. Sein Teint war sogar noch befremdlicher: Man konnte ihn weder bleich noch fahl nennen; es war ein Grau oder, sozusagen, Schmutzigweiß, wie der eines Inders, der lange an einem Fieber litt. Und der Ton wurde noch durch das rabenschwarze Haar des Bartes und kurz geschnittenen Schopfs betont. Die Kleidung des Unbekannten war die eines Ritters, aber altmodisch und vernachlässigt; da waren große Flecken von Rost auf dem Kragen und der Brustplatte seiner Rüstung, und sein Dolch und das Heft seines gut gearbeiteten Schwertes waren zum Teil verschimmelt. Da die Gesellschaft gerade zu Abend speisen wollte, war es natürlich, den Fremden dazu einzuladen; er kam der Einladung insofern nach, als dass er sich zu ihnen an den Tisch setzte, doch er wollte keinen Bissen essen. Überrascht fragte der Ritter nach dem Grund.
    »Seit geraumer Zeit bin ich daran gewöhnt, nicht in der Nacht zu essen«, antwortete er mit einem seltsamen Lächeln. »Meiner Verdauung ist feste Nahrung fremd und würde diese tatsächlich nur schwer verkraften. Ich nähre mich ausschließlich von Flüssigkeiten.«
    »Oh, dann lasst uns zusammen einen Humpen Rheinwein lehren«, rief der Gastgeber aus.
    »Danke, aber ich trinke weder Wein noch irgendein anderes kaltes Gebräu«, entgegnete der andere höhnisch. Es schien, als wenn er irgendetwas Amüsantes mit dem Gedanken verband.
    »Dann lasse ich Euch eine Tasse Hippocras bereiten« – ein warmes Getränk aus Kräutern –, »es soll gleich bereit sein«, sagte Franziska.
    »Vielen Dank, schöne Dame; gegenwärtig bitte nicht. Aber auch wenn ich das angebotene Getränk jetzt ausschlage, mögt Ihr versichert sein, sobald ich es benötige – und das mag sehr bald sein –, werde ich dieses oder ein anderes von Euch erbitten.«
    Bertha und Franz fanden, dass der Mann eine unsäglich abstoßende Art hatte, und hatten daher keinerlei Neigung, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Baron jedoch dachte, dass möglicherweise die Höflichkeit ein paar Worte erforderte, wendete sich dem Gast zu und hub in einem freundlichen Tonfall an: »Es ist nun schon viele Wochen her, dass wir Euch zuerst trafen; wir hatten Euch zu danken für den beachtlichen Dienst –«
    »Und ich habe Euch immer noch nicht meinen Namen genannt, obwohl Ihr ihn gerne erfahren würdet«, unterbrach der andere trocken. »Ich werde Azzo genannt. Und da«, dieses sagte er wiederum mit einem ironischen Lächeln, »ich mit der Erlaubnis des Ritters von Fahnenberg in der Burg von Klatka lebe, könnt Ihr mich in Zukunft Azzo von Klatka nennen.«
    »Ich frage mich, warum Ihr Euch nicht einsam und unwohl in jenen alten Mauern fühlt«, begann Bertha. »Ich verstehe nicht –«
    »Warum ich hier bin? Oh, darüber will ich Euch gerne einige Auskunft geben, da Ihr und der junge Herr hier ein so lebhaftes Interesse an meiner Person zeigt«, erwiderte er sarkastisch.
    Franz und Bertha zuckten zusammen, da er ihre Gedanken kundtat, als wenn er in ihre Seelen blicken könnte. »Ihr seht, meine Dame«, fuhr er fort, »es gibt eine Vielzahl von seltsamen Launen in der Welt. Wie ich bereits sagte, liebe ich das Befremdliche und Ungewöhnliche, jedenfalls mag es Euch so erscheinen. Es ist üblicherweise falsch, sich über alles mögliche zu verwundern, denn sieht man es in einem anderen Licht, werden alle Dinge ähnlich, selbst Leben und Tod, diese Seite des Grabes und die andere, haben mehr gemein, als Ihr Euch vorstellen mögt. Ihr werdet meinen Geist wohl für ein wenig verdreht halten, weil ich mein Lager mit Fledermaus und Eule teile, aber selbst wenn, warum haltet Ihr nicht jeden Einsiedler für wahnsinnig? Ihr werdet mir erzählen, dass diese heilige Männer seien. Ich gebe nichts Derartiges vor. Während sie sich mit Gebeten und dem Singen von Psalmen verlustieren, unterhalte ich mich durch die Jagd. Oh, Ihr könnt nicht verstehen, welch’ tiefen Genuss es bereitet, im fahlen Mondlicht auf einem Pferd, das niemals ermüdet, über Hügel und durch Täler, durch Wälder und Felder dahinzustürmen! Ich hetze mit

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