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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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nicht zu ermüden, zum Schlusse meiner Reiseerinnerung. Ich war noch keine Woche in M***, als ich eines Nachmittags meinen Nachbar Angelo in Begleitung seines einzigen alten Dieners ausreiten sehe und mich über seine Haltung, sein munteres Aussehen, die blühende Farbe seiner Wangen und die hohe Regsamkeit seiner Glieder freue. Ich kehre am Abend aus dem Theater in den Gasthof, sehe in dem Korridor, der zu meinem Zimmer führt, viele Menschen gehen und kommen … ich fürchte für meinen kranken Äskulap, frage, erkundige mich und höre, dass mein junger Nachbar gefährlich darniederliege, dass er von Fieberschauern geschüttelt, den Folgen einer starken Erkältung, nach Hause gekommen, in Konvulsionen verfallen, dem Tode nahe sei. Gegen Mitternacht weckt uns das Geschrei und Geheul des Bedienten aus dem Schlafe. Angelo war soeben verschieden. – Die Teilnahme, die ich für den Verblichenen gehegt hatte, machte mich geneigt, seine Leiche zu sehen. Ich sah sie mit dem Sterbekleid angetan. Der arme Jüngling! Seine Züge unentstellt, aber die Blässe des Todes auf seinen Wangen, kalt und starr seine Glieder. In meiner Gegenwart drückte ihm weinend der Diener die Augen zu; in meinem Beisein nahm ein Notar seine Verlassenschaft auf. Man fand ein Testament, Briefe, Kleinodien, Wechsel und Geld. Der alte Diener übernahm es, solche der Familie zu überbringen, ließ alles gerichtlich bescheinigen, versiegeln; packte und besorgte die Bestattung seines Herren. Man musste den Jammernden mit Gewalt von der Leiche reißen, um sie in den prächtigen Sarg zu legen. Auch hier sah ich sie mit meinen Augen und alle Bewohner des Hotels verabredeten sich, den Toten zu seiner Grabstätte zu begleiten. Die Stunde kam, der Sarg war schon in dem Hausflur angelangt, die Träger wollten ihn auf die Schultern nehmen, als ein Reisewagen vor dem Hotel hielt. Eine junge Dame in Reisekleidern, von zwei Kammerfrauen begleitet, sprang heraus. Angelos alter Diener gewahrte sie, wurde geisterbleich, eilte dann auf sie zu, rang die Hände und rief in italienischer Sprache: Verzeihung! Vergebung! Zu welchem Auftritte kommen Sie, Signora? – Scellerato! [27] herrschte ihm die Dame im Vorübergehen zu, Erbitterung und Grimm im Blick, und wandte sich dann zu den Trägern, verlangend, dass man ihr den Sarg öffne. Diese weigerten sich. Die Dame wies einen Polizeibefehl auf. Man gehorchte ihr … der Deckel sprang. Die Fremde betrachtete den Toten mit steter Aufmerksamkeit, berührte sein Gesicht, schob seine Halskrause zurück, unter der sich ein sternförmiges brennend rotes Muttermal barg, und beugte sich dann zu ihren Begleiterinnen, sprechend: Er ist es! Kein Zweifel! Er ist es gewiss! – Keine Träne entfloss ihrem Auge, kein Schmerz verzog ihr Gesicht; nur ein leiser Schauder schien durch ihre Glieder zu beben, und mit einem Zeichen, den Deckel zu schließen, trat sie von der Bahre. Ich sah alles mit an, da ich wenige Schritte von ihr stand, und teilte das Staunen aller Anwesenden. Die Dame zog Angelos Diener auf die Seite, wechselte wenige heftige Worte mit ihm, ließ sich die Schlüssel zu des Verstorbenen Zimmer und Effekten ausliefern und erlaubte die Fortbringung des Toten. Der Leichenzug ging vor sich. Wir folgten in der sonderbarsten Gemütsstimmung. Der alte Diener schwankte wie vernichtet hinter dem Sarge her und verließ laut weinend das Grab, in das sein Herr gesenkt wurde. Ich sah ihn versenken, ich hörte das Poltern der Erdschollen, mit denen das Grab zugeworfen wurde. Als ich ins Hotel zurückkam, hatte die Fremde, Angelos Schwester, wie man von den Wirtsleuten hörte, Gasthof und Stadt verlassen, samt ihres Bruders beweglicher Habe. Sein alter Diener war ebenfalls abgereist, um einem nahen Verwandten seines Herrn die Kunde zu bringen, dass ihn der Verblichene, kraft seines beim Notar deponierten Testaments, zum Erben des größten Teils seines Vermögens eingesetzt habe. – Ich hielt mich noch vierzehn Tage in M*** auf, und Angelos Tod war lange schon vergessen in dem Treiben der volkreichen Stadt, als ich abreiste. Das Bild des toten Jünglings blieb aber noch lange lebendig vor meinem Geiste und frischt sich heute auf die seltsamste Weise auf, und dennoch haben mich meine Sinne damals nicht getäuscht; … sie täuschen mich noch nicht, so gern ich’s mich überreden möchte, denn dort am Kamine sitzt derselbe Angelo, den ich vor zwei Jahren, hundertundfünfzig Stunden von hier, in M*** lebend, dann als Leiche und begraben

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