- Lasst die Toten ruhen
glücklichen Dichter seines Beifalls. Sein Blick ruhte aber forschend auf dessen Antlitz, und zerstreut hörend und antwortend, schien er verwirrte Ideen und Erinnerungen in seinem Kopfe zu ordnen.
* * *
»Auf die Gefahr hin, unbescheiden genannt zu werden«, sprach er endlich zu der Gräfin und zog sie in ein Fenster, »muss ich einige Fragen an Sie stellen, meine beste Gräfin. Fürs Erste, meine liebe Billing … wie nannten Sie den jungen bleichen Italiener, dem soeben das charmante Sonettchen glückte?« –
»Del Cane, Ihro Durchlaucht, aus einem guten neapolitanischen Hause.«
Der Gardekapitän, der zwei Schritte von den Sprechenden entfernt mit der ehemaligen Hofdame von Maltingen im leisesten Gespräch verkehrt hatte, wurde bei diesem Namen aufmerksam, wie seine Gesellschafterin. Von faltigen Gardinen dem Fürsten und der Gräfin verborgen, verloren die Lauschenden keine Silbe.
»Was ist der junge Mann weiter?«, fragte der Fürst.
»Er ist geschäftslos, soviel ich weiß«, entgegnete die Gräfin. »Das Gerücht nennt ihn reich. Er hält sich ungefähr seit sechs Monaten hier auf, fand, obgleich fremd und ohne Empfehlungen, Eingang in dem Hause der liebenswürdigen Baronin, die ihm gerade jetzt zur Seite sitzt und mit der sich so angelegentlich unterhält.«
Der Fürst blickte hin, erkannte die Bezeichnete, nickte beifällig, während die Hofdame höflich die Lippen zog und dunkle Röte dem Kapitän bis unter die Haare stieg.
»Ein holdes Frauenbild«, sprach der Fürst. »Rosiger Schein auf den Wangen, Himmelsbläue in den Augen, Purpur auf den Lippen, viel Schwärmerei, aber auch viel Liebe in Blick und Zügen. Der Name des lieblichen Kindes?« –
»Florentine, verwitwete Freiin von Hersfeld. Convenienz [26] verehelichte das sechzehnjährige Mädchen. Nach anderthalbjähriger freud- und leidloser Ehe starb der Gemahl und hinterließ ihr nebst großen Gütern einen Sohn, in dem sie erst den Vater zu lieben begonnen hatte. Dieses Kind war der Witwe Idol, bis …«
»Bis der schlaue Italiener für sich den Altar gewann?«, lächelte der Fürst. »Ich verstehe.« –
»Eure Durchlaucht haben erraten«, bekräftigte die Gräfin. »Er wusste die Witwe von neunzehn Jahren, die reichste Partie im Lande, allen Mitwerbern zum Trotz, zu fesseln, und ihre Verbindung ist schon so gut als festgesetzt.«
»Ich bin Ihnen verbunden, meine wackere Wirtin, für die Auskunft, die Sie mir zu geben so gütig waren«, versetzte hieraus der Fürst. »Meine geringste Pflicht ist nun, Ihnen von den Fragen, die ich tat, Rechenschaft zu geben. Aber ich weiß auf Ehre nicht recht, wie ich es anfangen soll. Denn für das Sonderbare, das ich Ihnen zu erzählen habe, kann ich nur meine Augen, mein seit einer Stunde wohl zurate gezogenes Gedächtnis und meine Wahrheitsliebe, die wissentlich niemals einen Irrtum behauptet, als Bürgen aufführen. – Zur Einleitung ein Reiseabenteuer. Auf meiner Reise nach Italien begriffen, kam ich vor zwei Jahren nach M***. Mein Arzt, der mich in den Seebädern von Livorno herstellen wollte, ward selbst krank und verursachte einen Aufenthalt von einigen Wochen. Unter den Gästen des Hotels, das ich bewohnte, fiel mir ein junger Mann vor allen auf. Seine männlich schönen Züge, seine strahlenden Augen zeichneten ihn vorteilhaft aus. Ich erkundigte mich nach ihm. Er wurde Angelo, Neapel seine Heimat genannt; ich erfuhr, sein Zimmer stoße an meine Gemächer, und diese Nachbarschaft gewährte mir in der Tat vielen Genuss. Denn in des Abends Dämmerstunden erklang seine Gitarre. Die Canzonen seines Vaterlandes und Barkarolen in venezianischer Mundart, von dem angenehmen Bariton vorgetragen, stahlen sich mit den Blütendüften des Gartens in die offenen Fenster meines Zimmers, wo ich in behaglichem Schweigen den transalpinischen Melodien lauschte. – Ich spreche unvollkommen Italienisch, … Französisch war ihm nicht geläufig, die deutsche Sprache völlig fremd, darum kam unsere Unterhaltung, begegneten wir uns zufälligerweise, nie weiter als auf ein paar schlecht und recht gegebene Komplimente von meiner und eine undeutliche kalte Erwiderung von seiner Seite. Es herrschte überhaupt in seinen Blicken und Gebärden eine gewisse ängstliche Unruhe und Scheu, die vielleicht auch bei besserer Kenntnis der Idiome kein dauerndes Gespräch unter uns hätte zustande kommen lassen. – Doch ich bemerke so eben, dass ich, der Gewohnheit des Alters gemäß, zu breit werde, und gehe, Ihre Geduld
Weitere Kostenlose Bücher