- Lasst die Toten ruhen
pomeranzenfarbenen, wie man will. Der Ausspruch der Wortführenden ging dahin: Das Auge sei der schönste Teil des menschlichen Körpers, wie er der ausdrucksvollste sei. – Ein junger Mann aber, von ungemein blassem Angesichte und ernstem Wesen meinte, dieses Urteil scheine nur richtig. Die Schönheit des Auges bestehe aber lediglich in der Empfindung, die es gerade belebt. Wie man aber den Mund einer Person darum nicht allein schön nennen könnte, weil er sich lächelnd schön ausnimmt, während er vielleicht im ruhigen Zustande unbedeutend erscheint, so müsse man auch das Gefühl, das aus dem Auge spricht, von dem Auge selbst unterscheiden, und er, der Sprecher, müsse gestehen, dass ihm dasselbe als der abschreckendste Teil des menschlichen Augenlichts vorkomme.
Die Zuhörer saßen erstaunt, als sie vernahmen, was ihnen ziemlich paradox zu sein schien, und konnten sich nicht genug wundern, wie ein junger Mann also sprechen könne, der selbst die größten und schönsten schwarzen Augen in seinem geisterblassen Gesichte trug. Er fuhr aber fort: »Ich hoffe, recht verstanden zu werden. Das heitere Leben verleiht dem Blicke Reiz und Ausdruck. Wie könnte sonst der Liebende aus dem Auge der Geliebten Flammen des Entzückens fangen? Wie der Racheblick des Zürnenden den scheuen Gegner niederschmettern? Ein lebendiges Auge macht die alltäglichste Physiognomie lebendig. Ein seelenvolles macht sie schön. Es gibt auch fürchterliche Augen, die über alle Züge das Aushängeschild der Verworfenheit, des Hasses, der Verzweiflung bereiten: Von diesen rede ich aber nicht. Mit dem Auge an und für sich habe ich nichts zu tun, und sobald dieses wunderliche Chamäleon nicht mehr in der Idee lebt, sobald es in seinen natürlichen ausdruckslosen Zustand versinkt, ist es das Grässlichste, was es gibt. Die Hand eines Toten, sein Gesicht, bezeichnet mit dem Stempel der Vernichtung, haben aufgehört, schön zu sein, das Auge wird aber entsetzlich. Ich suche aber meine Beweise nicht an dem Körper, der schon der Zerstörung verfallen ist, sondern an Lebenden. Man sehe dem innigsten Freunde starr und kalt in die Augen, einige Minuten lang und unverrückt: Er verharre in derselben Stellung … Man verbanne mit Gewalt jede anderweitige Idee und mit wachsendem Schauer wird man des Gegners Auge nach und nach glanzlos, stier, verglasen sehen, und zum starren Schreckbild geworden, jagt es des Todes Eis in des neugierigen Forschers Adern. – Ich habe diese Erfahrung im Spiegel an mir selbst versucht … Dasselbe Resultat gefunden und musste mich durch schnelle Zerstreuung von dem Grauen losmachen, in das mich die Untersuchung meines Auges gestürzt hatte.«
Eine lange und schwere Pause in der Gesellschaft. – Wenige lächelten und zuckten die Achseln. Die Mehrzahl scheute sich, aus ihres Nachbars Augen ihr Urteil zu schöpfen, aus der Furcht, die schauderhafte Erfahrung zu Stelle bestätigt zu sehen. Die Gräfin war die Erste, die sich sammelte, und sprach: »Fürwahr! Das Gespräch hat eine so ernste Wendung genommen, dass wir ebenfalls der Zerstreuung bedürfen, um uns des augenblicklichen Grauens zu entschlagen. Herr del Cane hat die Heiterkeit des Abends gestört und ist in Strafe verfallen. Das ängstliche Staunen seiner holden Nachbarin könnte hinlänglich Pön [24] für sein Zartgefühl sein; da ich aber hier als Oberrichterin im Namen der ganzen beleidigten Damenwelt urteile, die ihre Augen nun einmal nur schön und liebenswürdig gefunden wissen will, so ergeht mein Spruch dahin, dass bemeldeter Herr del Cane, ob seiner frevelhaften Mitteilung fataler Experimente, gehalten werde, auf der Stelle ein galantes Impromptu [25] auf die Taubenaugen seiner lieblichen Freundin zu machen. Um es ihm zu erleichtern, mag es in italienischer Sprache verfasst sein.«
»Darf ich Petrarca statt meiner sprechen lassen?«, fragte del Cane mit einem feurigen Seitenblick auf Florentine.
»Behüte«, eiferte die Gräfin. »Sie müssen reden … Sie. Petrarca ist ein Schwätzer, der nie bei seiner Laura Augen allein stehen bleibt, und wir haben es hier bloß mit den Augen zu tun.«
Der Verurteilte fügte sich in sein Schicksal und zauberte in anderthalb Minuten ein Sonettchen her, das regelrecht, klingend und ritterlich galant dem Zwecke vollkommen entsprach, für den Verfasser ein zärtliches Wort des Dankes aus dem Munde seiner Nachbarin zu Folge hatte und ihm die Verzeihung der Gesellschaft erwarb.
Auch der fürstliche Graf versicherte den
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