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Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein

Titel: Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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besteht.
    Der Vergleich mit dem Hamsterrad ist nicht neu. Aber er beschreibt immer noch am besten, was wir da eigentlich machen. Im Kapitel über Stress zeige ich, inwiefern sich unser moderner Stress von dem unserer Vorfahren unterscheidet und dass es ein riesiges Problem der Gegenwart ist, dass der moderne Stress stetig zunimmt und uns krank macht.
    Wir haben uns angewöhnt, diese Stressbelastung als von außen gesteuert zu empfinden. Da gibt es den Arbeitgeber, der immer mehr Leistung und immer längere Arbeitszeiten von uns verlangt. Da ist die technische Entwicklung, die immer schneller voranschreitet und damit auch immer mehr Aufmerksamkeit verlangt. Und da sind nicht zuletzt immer kompliziertere soziale Beziehungen, weil die anderen da draußen ja unter genau dem gleichen Stress leiden.
    All das lässt im Grunde nur den fatalistischen Schluss zu, dass es kaum möglich sei, sich dem auch nur ansatzweise zu entziehen. Auswege sehen wir nur noch in kurzen Erholungspausen, die wiederum letztlich den gleichen Zwängen unterliegen wie die Stressphasen: Wir müssen Wellness-Urlaube organisieren, Karten für Events besorgen, Ausschau nach guten Partys halten.
    Das Hamsterrad läuft also immer weiter und weiter, egal, ob wir uns im privaten oder im öffentlichen Bereich bewegen,
egal, ob wir Lust auf Dynamik und Bewegung im Leben haben oder eigentlich lieber eine Ruhepause genießen würden.
    New York, so sang schon Frank Sinatra, sei »the city that never sleeps«. Mittlerweile gleicht unser aller Leben diesem Status. Wir sind ständig »on«, schlafen und ausruhen ist feige und wird auf die Zeit nach dem Tod verschoben. Es gibt keinen Ruhemodus mehr, weil wir den Schalter dafür bei den Umgestaltungen unseres Lebens in den letzten Jahren einfach »wegrenoviert« haben. Wir finden ihn nicht mehr und bleiben »angeschaltet«.
    Indes: Die äußeren Umstände, die wir natürlicherweise für diesen Zustand verantwortlich machen, sind nicht mehr als der Motor für diese ständige Rotation. Die Zündung geht von uns selbst aus. Wir brauchen diesen »on«-Zustand, wie ein Süchtiger seinen Stoff braucht.
    In diesem Sinne ist es also der Mensch selbst, der das Hamsterrad in Bewegung hält. Er rennt und rennt und rennt immer weiter (und immer schneller), um zu verhindern, dass das Rad stoppt und Ruhe einkehrt. Was absurd klingt, ist logisch, wenn man verstanden hat, dass es gerade dieser Ruhezustand ist, gegen den sich unsere Psyche zu wehren scheint.
    Das ist der Grund, warum wir immer wieder alles tun, um nicht aussteigen zu müssen. Die deutsche Sprache hält die schöne Wendung »auf dem Laufenden sein« bereit. Harmlos interpretiert heißt das einfach nur, dass wir wissen, was im Bezug auf ein bestimmtes interessantes Thema passiert ist, ob es Neuigkeiten gibt. Vor dem Hintergrund des Bildes vom Hamsterrad bekommt diese Wendung eine neue Bedeutungsvariante. Wir wollen unbewusst gewissermaßen
nur noch auf dem Laufenden sein, in Bewegung, weil Stillstand ausschließlich negativ besetzt ist und den Zusammenbruch bedeuten würde. Auf dem Laufenden sein bedeutet in dieser Hinsicht, im Hamsterrad zu bleiben, immer weiterzuhetzen, damit es sich immer schneller dreht.
    Wir suchen also wie ferngesteuert, ungewollt, genau die Herausforderungen und Belastungen, von denen wir eigentlich wissen, dass sie uns in der Menge langfristig überfordern. Nur diese Dauerbelastung verschafft uns die Gewissheit, uns nicht auf uns selbst konzentrieren zu müssen, uns selbst aushalten zu müssen.
    So einsichtig das hier im ersten Moment vielleicht klingen mag, so schwer ist es im Alltag oft, zu erkennen, dass das Hamsterrad längst eine viel zu hohe Drehzahl erreicht und ein zu hohes Tempo aufgenommen hat. Denn jede einzelne kleine Tätigkeit für sich erscheint uns und auch Außenstehenden natürlich oft nicht als potenzielle Überforderung. Das Motto heißt meistens: Das schaffe ich auch noch, kein Problem. Um den Hamsterrad-Effekt in seiner Gänze sehen zu können, müssten wir genau das tun, was das fortwährende Drehen eben verhindert: innehalten, uns von der Welt abgrenzen und uns einen Moment der Analyse gönnen. Wie viele Dinge tun wir tagtäglich, die keinem bestimmten Zweck dienen, sondern uns lediglich beschäftigt halten? Wann haben wir das letzte Mal alles außerhalb von uns vergessen und uns wirklich entspannt?
    Nur echte Entspannung kann das Hamsterrad tatsächlich zum Anhalten zwingen, nicht die durchgeplante Entspannung, wie wir

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