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Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein

Titel: Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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wir uns nicht mehr wirklich bewusst machen, was im Begriff der Entscheidungsfreiheit noch steckt. Ein ganz wichtiger Faktor droht nämlich so langsam zu verschwinden: die Freiheit, sich nicht entscheiden zu müssen . Entscheidungsfreiheit also im Sinne von »Freiheit vom Entscheidungszwang«.
    Unsere Psyche ist eigentlich nicht dafür gemacht, ständigem Entscheidungszwang ausgesetzt zu sein. Auch dies ist für sie eine Art von Katastrophenszenario. In der Katastrophe ist der Mensch die ganze Zeit in Alarmbereitschaft, die Psyche ist darauf eingerichtet, in kürzester Zeit vielleicht lebenswichtige Entscheidungen treffen zu müssen. Um diesen Zustand ausgleichen zu können, muss irgendwann die Katastrophe vorbei sein und Ruhe einkehren.
    Analog zu den beschriebenen Stresszuständen fehlt jedoch in zunehmendem Maße diese Ruhe: Die Freiheit, sich
entscheiden zu können, wird zu einem Zwang, sich andauernd entscheiden zu müssen. Dazu kommt: Wer viele Entscheidungen trifft, liegt auch häufiger mal daneben, macht Fehler, vielleicht sogar folgenschwere Fehler. Das führt dazu, dass langsam, aber stetig die Angst vor Fehlentscheidungen wächst.
    Aus dieser Angst entsteht neuer Stress, der den alten, nicht abgebauten, noch potenziert. Und nicht nur die Angst, eine Fehlentscheidung zu treffen, spielt eine Rolle, sondern auch die Angst davor, durch diese falsche Wahl etwas Wichtiges zu verpassen. Es geht also um die Angst vor der Wahl an sich und vor den Folgen dieser Wahl, eine offensichtliche Doppelbelastung für die Psyche.
    In letzter Konsequenz folgt aus diesen Ängsten eine faktische Handlungsunfähigkeit. Wer in einer Entscheidungs-situation vor allen Möglichkeiten Angst hat, wird tendenziell dazu neigen, die Entscheidung zu vertagen oder tatsächlich gar nicht mehr zu treffen. Daraus können soziale Nachteile mehr oder weniger schwerwiegender Natur entstehen. Dazu ein einfaches Beispiel:
     
    Es ist Samstagabend, das Ehepaar Schuster hat zwei Möglichkeiten, die freie Zeit zu gestalten. Ein Freund hat einen beruflichen Aufstieg geschafft, was mit einer großen Party gefeiert werden soll. Andererseits freuen beide sich schon lange auf das Konzert ihrer Lieblingsband, für das sie bereits vor geraumer Zeit Karten gekauft haben. Obwohl allein schon das in die Karten investierte Geld als Argument ausreichen könnte, diskutieren beide den ganzen Samstag über, wohin es abends gehen soll. Man möchte den Freund nicht enttäuschen, ist aber voller Vorfreude auf das Konzert. Andererseits sind auf der
Party des Freundes eventuell interessante Leute, die beim eigenen beruflichen Weg nützlich sein könnten. Es steht jedoch auch zu befürchten, dass andere Bekannte, die für das mittlerweile ausverkaufte Konzert keine Karten mehr bekommen haben, fragen werden, wie es denn gewesen sei (und da die Entscheidung bis zuletzt aufgeschoben wird, kann man auch diesen Bekannten die Karten nicht mehr schenken, da sie schon andere Pläne für den Abend haben).
    Diese Situation endet schließlich mit dem größtmöglichen Fiasko. Schusters streiten den ganzen Tag über und bleiben schließlich daheim, weil keine einvernehmliche Entscheidung getroffen werden konnte. Die teuren Konzertkarten verfallen, die Freude an der Musik und am Erlebnis ist auch perdu, der Freund ist sauer über die Partyabsage, und auch wenn wichtige Leute dort waren, die weitergeholfen hätten, haben Schusters sie nie getroffen.
     
    Wer ehrlich ist, wird zugeben müssen, eine ähnliche Situation, vielleicht in milderer Form, schon einmal erlebt zu haben. Und bei den meisten von uns dürfte es so sein, dass die Menge der Zwickmühlen, aus denen man unbefriedigt hervorgeht, eher zunimmt. Trotzdem suchen wir immer wieder unbewusst den Entscheidungszwang. Wir suchen uns so viele Optionen wie nur möglich und klagen hinterher darüber, dass wir uns nicht entscheiden können.

    Wir haben die freie Auswahl. Aber wollen wir das überhaupt?
    In engem Zusammenhang mit dem Entscheidungszwang steht die Freiheit der Auswahl. Sie können sich sicher noch recht gut daran erinnern, wann, wie und wo Sie die Liebe Ihres Lebens kennen gelernt haben. Wenn Sie über 35 sind, ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass das in jenem Umfeld passiert ist, das im Internet heute unter dem Kürzel RL geführt wird: im »Real Life«, im echten Leben also, irgendwo da draußen, oft an der Arbeitsstelle, manchmal in der Disco, auf einer Feier oder auch einfach im Café.
    Ganz egal, an welchem

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