Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein
Lebensabschnitt zu teilen; die Vorstellung, ein ganzes Leben lang zusammenzubleiben, kommt da mehr und mehr einem absurden Ideal gleich.
Die Angst vor Fehlentscheidungen und die Angst, mit einer endgültigen Entscheidung etwas noch Besseres zu verpassen,
kennzeichnet die Grundeinstellung der sogenannten »Yeppies«. Yeppie steht für »Young Experimental Perfection Seeker« und ist eine von Anthropologen in Anlehnung an den bekannten 80er-Jahre-Begriff des »Yuppies« entwickelte Bezeichnung. Wir haben damit eine so smarte wie heuchlerische Umschreibung für das, was das Leben der heutigen jüngeren und der nachfolgenden Generationen kennzeichnet. Die Yeppies hüpfen von einer scheinbar folgenlosen Entscheidung zur nächsten und gaukeln sich selbst vor, diese nie endende Suche nach Perfektion sei etwas Positives.
Dabei geht es nicht darum, dass es schon immer die Gruppe der Unsteten gegeben hat; die, die nach dem Motto »Lebe wild und gefährlich« vorgingen und sich damit insgeheim der Bewunderung der bürgerlichen Schichten sicher sein konnten. Es geht nicht um Freiheit und Ungebundenheit als Lebenskonzept, es geht schon lange nicht mehr um die Befreiung von den Fesseln eines Spießbürgertums, das Kreativität und Selbstverwirklichung unterdrückt hat. Nein, der Yeppie ist kein politischer Revoluzzer und kein kultureller Freigeist. Das Gegenteil ist der Fall. Der Yeppie ist das personifizierte Hamsterrad. Er ist ein Getriebener, der immer unterwegs ist, aber nie ankommen wird, der große Pläne hat, deren Verwirklichung aber gleichzeitig die größte Gefahr für ihn darstellen würde.
Denn was würde passieren, wenn der Yeppie mit all seinen Experimenten die Perfektion nicht nur gesucht, sondern tatsächlich gefunden hätte? Dieses Finden würde den abrupten Ausstieg aus dem Hamsterrad bedeuten. Den plötzlichen Stillstand, die totale Ruhe, und vor allem, es würde bedeuten, auf weitere Möglichkeiten zu verzichten, eine endgültige Entscheidung getroffen zu haben.
Das jedoch ist exakt das, was die Psyche des Yeppies nicht verkraften würde. Sie ist darauf angewiesen, dass die Suche weitergeht, dass dem einen Reiz der nächste folgt, dass die Atemlosigkeit bestehen bleibt und die Experimente niemals enden mögen.
Immerhin: Der Yeppie handelt noch, vergleichsweise sinnentleert zwar und in viel zu hoher Frequenz, doch oberflächlich betrachtet, funktioniert sein Leben meist sogar ganz gut. Viele verschiedene Beziehungen statt einer dauerhaften erscheinen nach außen als wildes, interessantes Leben, zumindest, wenn es sich um Männer handelt. Unterschiedliche Jobs gemacht zu haben, anstatt über Jahre hinweg in dasselbe Büro zu gehen, kann auch als Erfahrung und Offenheit für neue Trends gedeutet werden. Die Negativbelastung der menschlichen Psyche verschwindet dahinter, denn Psyche kann man nicht sehen.
Was man aber sehen kann und auch bei dem einen oder anderen Yeppie irgendwann bemerken wird, ist das extremste Resultat der permanenten Angst vor Fehlentscheidungen und der Furcht davor, irgendetwas zu verpassen: eine totale Handlungsunfähigkeit.
Das ist das gleiche Phänomen wie bei jenen Kunden, die mehr als sieben Produkte zur Auswahl haben und häufig am Ende gar keines kaufen, weil sie sich von der Auswahl überfordert fühlen. Das ist natürlich keine schlimme Handlungsunfähigkeit, vom Kauf irgendeines technischen Produktes hängt kein Lebensglück ab. Aber man kann sich leicht vorstellen, wie der gleiche Effekt auf anderen Gebieten eintritt.
Scheinbar totale Freiheit kann sich also leicht in ihr genaues Gegenteil verkehren. Ich will an einem vielleicht absurden
Beispiel (das aber vielen bekannt vorkommen dürfte) verdeutlichen, wie das gemeint ist.
Ein Freund erzählte mir kürzlich, er habe mit seiner Frau eine alte amerikanische Serie angeschaut. In einer Szene will der Protagonist seine Frau, die mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, in der Klinik besuchen. Er fährt also mit seinem großen amerikanischen Geländewagen dorthin und gelangt auf einen sehr großen Parkplatz. Auf diesem Parkplatz stehen nur wenige Autos, und es sind keine Parkbuchten markiert. Er parkt also ohne Probleme irgendwo ein.
Während der Filmdarsteller nun seinen Geländewagen auf dem Parkplatz abstellt, erinnerte sich mein Freund an eine Situation, die er vor kurzer Zeit ähnlich, aber viel problematischer erlebt hatte: ein riesiger Parkplatz, kaum Autos, keine Markierungen. Anders gesagt: jede Menge Platz,
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