Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Abendessen. Ich dachte an die Schmerzen in meinem linken Knie. Ich dachte an einen Zahn, in dem ich ein Loch vermutete. Ich überlegte, wie ich meine Haare am besten versteckte.
Vorwiegend dachte ich jedoch an Lyle Crease. Und ich verstand die Wut islamischer Fundamentalisten und der Postangestellten. Ich würde ihn anrufen und die Fotos zurückverlangen. Und wenn mir das kleine Reptil dann noch einmal über den Weg lief, würde ich am nächsten Tag wahrscheinlich meinen Namen in den Zeitungen lesen können.
Als ich in meine Straße einbog, sah ich eine Gestalt auf mich zukommen, einen stiernackigen weißen Proleten in Lederweste, der aussah wie eine Hyäne.
War er aus meinem Haus gekommen?
Kit?
Ich spürte, wie mir die Brust eng wurde.
Ich ging schneller und hielt mich in der Mitte des Bürgersteigs. Der Mann wich nicht aus, sondern rempelte mich an. Er war so massig, dass der Zusammenprall mich aus dem Gleichgewicht brachte. Taumelnd sah ich hoch in dunkle Augen, die der Schirm einer Baseball-Kappe noch dunkler machte. Ich starrte in diese Augen.
Schau mich an, Arschloch. Präge dir mein Gesicht ein. Ich präge mir deins ein.
Er erwiderte meinen Blick und spitzte dann die Lippen zu einem übertriebenen Kuss.
Ich zeigte ihm den Stinkefinger.
Mit pochendem Herzen rannte ich zu meinem Haus und, zwei Stufen auf einmal nehmend, in die Vorhalle. Mit zitternden Händen schloss ich die Haustür auf, lief den Gang hinunter und steckte den Schlüssel in meine Wohnungstür.
Kit stand in der Küche und schüttete Nudeln in kochendes Wasser. Am Spülbecken stand eine leere Bierflasche, eine halb volle neben seinem Ellbogen.
»Kit.«
Seine Hand zuckte, als er meine Stimme hörte.
»Hey. Wie geht’s, wie steht’s?«
Er rührte die Nudeln mit einem Holzlöffel um und trank einen Schluck Bier. Obwohl die Begrüßung recht lässig geklungen hatte, verrieten seine ruckartigen Bewegungen seine Anspannung.
Ich schwieg und wartete, dass er weiterredete.
»Ich habe ‘ne Fertigsoße gefunden. Gebratener Knoblauch und schwarze Oliven. Ist zwar nicht gerade ein Gourmet-Menü, aber ich dachte mir, du magst es, wenn ich dir was koche.«
Er schenkte mir ein strahlendes Kit-Lächeln und trank noch einen Schluck Molson.
»Was ist los?«
»Heute Abend gibt’s ein NBA-Playoff-Spiel.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Tue ich das?«
»Kit.« Ich versteckte meine Verärgerung nicht.
»Was? Fragen Sie einfach, Ma’am.«
»War jemand hier, während ich weg war?«
Er rührte in den Linguine, klopfte den Löffel am Topfrand ab und sah mir direkt in die Augen. Einige Sekunden lang stieg der Dampf zwischen uns in die Höhe. Dann kniff er die Augen zusammen und klopfte den Löffel noch einmal ab.
»Nein.«
Er senkte den Blick, rührte und sah mich wieder an.
»Worum geht’s denn?«
»Ich habe auf dem Bürgersteig jemanden gesehen und dachte, dass er vielleicht von hier kam.«
»Da kann ich dir nicht weiterhelfen.« Noch so ein blasiertes Grinsen. »Mögen Sie Ihre Linguine al dente, Ma’am?«
»Kit –«
»Du machst dir zu viele Sorgen, Tante Tempe.«
Langsam kannte ich diesen Spruch auswendig.
»Bist du noch immer mit diesen Männern aus dem Motorradladen zusammen?«
Er streckte mir die Hände hin und kreuzte sie an den Gelenken.
»Okay. Ich gebe auf. Verhaften Sie mich wegen des Verdachts der Verwicklung in organisierte Pasta.«
»Bist du es?«
Seine Stimme wurde ernst. »Wer hat Sie angeheuert, um mir diese Fragen zu stellen, Ma’am?«
Es war klar, dass er mir nichts sagen würde. Ich verdrängte die Angst, obwohl ich wusste, dass sie sich bald wieder melden würde, und ging in mein Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Aber ich hatte eine Entscheidung getroffen.
Kit würde nach Houston zurückkehren.
Nach dem Abendessen setzte Kit sich vor den Fernseher und ich mich an meinen Computer. Ich hatte mir eben die Dateien geladen, die Kates Fotos und das von Jacques Roy ausgeliehene enthielten, als das Telefon klingelte.
Kit nahm ab und ich hörte Gelächter und Flachserei durch die Wand, doch plötzlich änderte sich der Ton. Obwohl ich nichts verstehen konnte, war doch klar, dass Kit sich aufregte. Seine Stimme wurde laut und zornig, und irgendwann hörte ich, wie der Hörer auf die Gabel geknallt wurde.
Kurz darauf erschien Kit in meiner Tür, und seine Aufregung war offensichtlich.
»Ich gehe noch ein bisschen raus, Tante T.«
»Raus?«
»Ja.«
»Mit wem?«
»Mit ein paar Jungs.« Nur sein Mund
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