Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
lächelte.
»Das reicht mir nicht, Kit.«
»Ach verdammt, fang nicht schon wieder an.«
Und damit stürmte er den Gang entlang.
»Scheiße!«
Ich sprang auf, aber Kit war schon zur Tür hinaus, als ich ins Wohnzimmer kam.
»Scheiße!«, wiederholte ich mit Nachdruck.
Ich wollte eben hinter ihm her, als das Telefon klingelte. Da ich glaubte, dass es noch einmal Kits Anrufer sei, griff ich zum Hörer.
»Ja!«, zischte ich.
»Mein Gott, Tempe. Vielleicht solltest du mal ein Benimmtraining oder so was machen. Du bist ja fast nur noch barsch.«
»Wo zum Teufel bist du, Harry?«
»In dem großartigen Staat Jalisco. Buenas noch –«
»Warum hast du mir nichts von Kits Schwierigkeiten in Houston gesagt?«
»Schwierigkeiten?«
»Diese winzige Sache mit der Verhaftung wegen Drogen!« Ich schrie beinahe.
»Ach, das.«
»Ja, das.«
»Ich glaube eigentlich nicht, dass Kit daran schuld war. Wenn diese käsigen kleinen Wichser nicht gewesen wären, mit denen er herumhing, hätte er sich mit diesem Zeug nie abgegeben.«
»Aber er hat es getan. Und jetzt ist er vorbestraft.«
»Aber er musste nicht ins Gefängnis. Howards Anwalt hat ihn auf Bewährung und gemeinnützige Arbeit herausbekommen. Tempe, der Junge hat fünf Nächte lang in einem Obdachlosenasyl gearbeitet, hat dort gegessen und geschlafen und alles. Ich glaube, da hat er ziemlich deutlich gesehen, wie die weniger Glücklich –«
»Hast du ihn zur psychologischen Beratung geschickt?«
»Den hat doch nur mal der Hafer gestochen. Kit ist okay.«
»Er könnte ein ernstes Problem haben.«
»Er hat sich einfach mit den falschen Leuten eingelassen.«
Am liebsten wäre ich explodiert vor Entrüstung. Dann kam mir ein anderer Gedanke.
»Kit ist noch auf Bewährung?«
»Ja, das ist alles. Deshalb schien es mir auch keiner Erwähnung wert.«
»Wie sind die Bedingungen seiner Bewährung?«
»Was?«
»Gibt es Beschränkungen, was Kit tun darf und was nicht?«
»Nach Mitternacht darf er nicht mehr Auto fahren. Das hat ihm wirklich gestunken. Und ja. Er darf sich nicht mit Kriminellen abgeben.« Das Letztere sagte sie mit übertriebener Betonung und schnaubte dann. »Als würde er mit Bonnie und Clyde durch die Straßen ziehen.«
Harrys Unfähigkeit, das Offensichtliche zu begreifen, erstaunte mich immer wieder. Sie redete mit Zimmerpflanzen, hatte aber keine Ahnung, wie sie mit ihrem Sohn kommunizieren sollte.
»Überwachst du, was er tut und mit wem er Kontakt hat?«
»Tempe, es ist doch nicht so, dass der Junge eine Bank ausrauben will.«
»Darum geht es nicht.«
»Ich will da jetzt wirklich nicht mehr drüber reden.«
Harry war eine Meisterin im »Ich will wirklich nicht drüber reden«.
»Ich muss los, Harry.« Die Unterhaltung degenerierte zu einem Streit, und darauf hatte ich keine Lust.
»Okay. Wollte nur mal hören, ob’s euch allen gut geht. Ich melde mich wieder.«
»Tu das.«
Ich legte auf und stand dann fünf Minuten einfach nur da und überlegte, was ich tun sollte. Keine der Möglichkeiten gefiel mir besonders, aber schließlich traf ich eine Entscheidung.
Ich suchte mir aus dem Telefonbuch eine Adresse heraus, schnappte mir meine Schlüssel und verließ die Wohnung.
Es herrschte nur wenig Verkehr, und nach zwanzig Minuten hielt ich am Bordstein der Rue Ontario. Ich stellte den Motor ab und sah mich um, während in meinem Bauch ein ganzer Schmetterlingsschwarm flatterte. Am liebsten wäre ich umgekehrt und hätte mir das, was ich vorhatte, noch einmal ganz genau überlegt.
Die Taverne des Rapides lag direkt gegenüber, zwischen einem Tätowierstudio und einem Motorradladen. Der Laden sah so heruntergekommen aus, wie ich ihn von dem Foto von Kit, das Claudel mir gegeben hatte, noch in Erinnerung hatte. Neonschilder warben für Budweiser und Molson in Fenstern, die im Zeitalter des Wassermanns zum letzten Mal geputzt worden waren.
Ich steckte mir eine Sprühdose mit Reizgas in die Jackentasche, stieg aus, schloss das Auto ab und überquerte die Straße. Schon auf dem Bürgersteig spürte ich das Wummern der Musik, die die Taverne erzittern ließ.
Drinnen musterte mich ein Türsteher von oben bis unten. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift Born to Die über einem kreischenden Schädel.
»Du meine Süße«, säuselte er mit öliger Stimme und starrte meinen Busen an. »Ich glaube, ich bin verliebt.«
Dem Mann fehlten mehrere Zähne, und er sah aus wie ein Mitglied der Anonymen Schläger. Ich erwiderte seine
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