Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Augenblicke im Leben, in denen man den Tod vor Augen hat. Das Herz hämmert, und der Blutdruck steigt, aber man weiß, dass das Blut bald vergossen sein und nie mehr fließen wird. Das Bewusstsein springt verzweifelt hin und her zwischen dem Drang, einen letzten, verzweifelten Fluchtversuch zu wagen, und einem Gefühl der Resignation, dem Wunsch, einfach aufzugeben.
Ich hatte dieses Gefühl schon ein- oder zweimal gehabt, aber noch nie so deutlich wie in diesem Augenblick. Als Pascal mich in die Diele schubste, wusste ich mit absoluter Sicherheit, dass ich dieses Haus nicht lebend verlassen würde. Mein Hirn entschied sich für wütende Aktivität.
Ich wirbelte herum und jagte meine Faust, so fest ich konnte, in Pascals Gesicht. Ich spürte etwas splittern, ließ sofort den Ellbogen zurückschnellen und riss ihn unter seinem Kinn hoch. Pascals Kopf kippte nach hinten, ich tauchte unter seinem Arm hindurch und rannte durch eine Tür links von mir.
Ich fand mich in einem Spielzimmer wieder, das dem im Clubhaus der Vipers in St.-Basile-le-Grand ähnelte. Die gleiche Bar. Die gleiche Neonkunst. Die gleichen Videomonitoren. Der einzige Unterschied war der, dass diese hier liefen und kaltes, blaues Licht auf die Bar und die Gäste warfen.
Ich lief zum entfernten Ende des Pooltisches, schnappte mir ein Queue und tastete mit der anderen Hand nach meiner Sprühdose, während meine Augen nach Türen oder Fenstern suchten.
An der Bar saßen zwei Männer, ein dritter stand dahinter. Alle drei hatten sich bei Pascals Aufschrei umgedreht. Sie sahen mich durch den Raum stürzen, und als Pascal durch die Tür kam, wandten sie sich wieder ihm zu.
»Ich bring das kleine Mistluder um! Wo ist sie?«
Licht von einem Neonschild fiel schräg über sein Gesicht, vertiefte die Falten und warf Schatten über Augen und Wangen.
»Jetzt mal ganz langsam.«
Die Stimme war leise und hart wie Quarz und ließ Pascal erstarren. Das Zufallen der Haustür deutete daraufhin, dass Tank sich gegen eine weitere Beteiligung entschlossen hatte. Ich warf dem Mann, der gesprochen hatte, einen verstohlenen Blick zu.
Er trug einen braunen Zweireiher mit einem hell pfirsichfarbenen Hemd und einer passenden Krawatte. Seine Haut war solariumbraun, und vermutlich zahlte er seinem Friseur achtzig Dollar pro Besuch. Große Ringe prangten auf beiden Händen.
Doch es war der Mann neben ihm, bei dem mein Herz stehen blieb.
Andrew Ryan trug schwarze Jeans, Stiefel und ein graues Sweatshirt mit abgetrennten Ärmeln. Die Muskeln in seinem Gesicht sahen hart und angespannt aus, Stoppeln bedeckten Kinn und Wangen.
Ryans Blick traf auf meinen, und die Haut unter seinen Augen spannte sich leicht an, dann wandte er sich ab.
Ich spürte, wie mir die Hitze den Hals hoch und in die Wangen stieg. Meine Beine zitterten, und ich musste mich am Pooltisch abstützen.
Nach ein paar Sekunden drehte Ryan sich auf seinem Hocker um und streckte die Beine in meine Richtung. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Mann, du bist vielleicht ein Volltrottel.«
»Kennst du diese blöde Fotze?« Pascals Stimme zitterte vor Wut. Blut tropfte ihm aus der Nase, und er wischte es mit dem Ärmel ab.
»Das ist Doktor Zu-viele-Scheißtitel«, sagte Ryan, zog ein Päckchen Marlboro aus der Tasche und klopfte sich eine Zigarette heraus.
Die andern sahen zu, wie Ryan sich die Zigarette zwischen die Lippen steckte, ein Streichholz aus dem Cellophan zog, sie anzündete und ausatmete.
Das tat ich ebenfalls. Ryans Hände um Streichholz und Zigarette sahen so vertraut aus, dass ich Tränen hinter meinen Lidern spürte. Ich seufzte unhörbar.
Warum ist er hier?
Ryan nahm seine Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, klemmte sich das Streichholz hochkam zwischen die Zähne, bog sich zurück und spuckte es in meine Richtung. Ich sah, wie es auf den grünen Filzbelag fiel, und in mir explodierte die Wut.
»Du Scheiß-Überläufer. Du gemeiner Hurensohn. Lies meine Lippen, Ryan. Fall tot um!«
»Siehst du, was ich meine.« Pascal wischte sich wieder die Nase. »Wir müssen dieser Fotze Manieren beibringen.«
»Keine gute Idee«, sagte Ryan und nahm einen tiefen Zug.
Der Mann im Gabardineanzug starrte Ryans Profil an. Einige Sekunden vergingen. Mit der Spannung, die im Raum herrschte, hätte man Pfeile abschießen können. Dann fragte er leise: »Warum sagst du das?«
»Sie gehört zu den Bullen.« Noch ein Zug. »Und die Bullen haben Pascal genau wegen so einer Scheiße
Weitere Kostenlose Bücher